Entscheidung des Monats Dezember 2022

Abschleppfälle - Kostenbescheid

Hinweis vom HLB-Team: Abschleppfälle erfreuen sich im Rahmen der juristischen Examen großer Beliebtheit, da sie viel Raum für verschachtelte Inzidenzprüfungen lassen und ein jeder sich etwas darunter vorstellen kann. Ganz abstrakt stellt sich bereits beim Einstieg in die Klausur die Frage nach der einschlägigen Rechtsgrundlage.

Unsere Dezember-Entscheidung traf passend dazu der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg mit Urteil vom 24.2.2022 (Achtung mit den konkreten Vorschriften! In NRW gilt eigenes Landesrecht; die ratio ist freilich vergleichbar). Die Entscheidung betraf – ebenso thematisch trefflich in Zeiten des saisonal-gesteigerten Glühwein- und Eggnog-Konsums – den vermeintlich betrunkenen Fahrer eines abschleppbedürftigen Fahrzeugs und dessen Klage gegen einen „Abschlepp-Kostenbescheid“.

Im dogmatischen Teil schauen wir in diesem Monat mal ein wenig über den juristischen Tellerrand hinaus und machen einen Ausflug in das Recht um die sog. unmittelbare Ausführung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Ihr in eurem späteren Referendariat oder Berufsleben auch mit dem Anschein nach neuen Rechtsfiguren konfrontiert werdet. Zudem vertiefen wir die Prüfung eines Kostenbescheides.

Die Hintergründe der Entscheidung

Eine wohlbekannte Situation: Winkerkelle raus und Taschenlampe an – Verkehrskontrolle[1] durch Polizeivollzugsbeamte im öffentlichen Straßenverkehr bei Stuttgart. Der Kläger wurde angehalten und kontrolliert, wobei den Polizeibeamten ein deutlicher Alkoholgeruch aus dem Fahrzeuginneren und in der Atemluft auffiel. Zugleich wurden sie auf die glasigen Augen, zittrigen Finger und einen leicht schwankenden Gang des Klägers aufmerksam. Eine Menge psycho-diagnostische Symptome – so der strafrechtliche Fachterminus – die eine Fahruntauglichkeit nahelegen.

Dem Kläger wurde daraufhin ein Atemalkoholtest angeboten, den dieser ablehnte.[2] In der Folge untersagten die Polizeibeamten ihm die Weiterfahrt und ordneten eine Blutentnahme an. Der PKW des Klägers stand derweil auf dem Seitenstreifen, wo er aufgrund der von ihm ausgehenden Betriebsgefahr[3] nicht längerfristig stehen bleiben konnte. Da der Kläger aber im Verdacht stand, alkoholbedingt fahruntauglich zu sein, ließen ihn die Polizeibeamten seinen PKW nicht umparken. Dies übernahm ein zwischenzeitlich beauftragtes Abschleppunternehmen, dessen Kosten die Behörde dem Kläger durch Kostenbescheid auferlegte. Gegen den Kostenbescheid erhob der Kläger beim zuständigen Verwaltungsgericht Klage, nachdem der Befund der Blutprobe keine Blutalkoholkonzentration aufgewiesen hatte.

Die Entscheidung

Der VGH Baden-Württemberg gab der Berufung der beklagten Behörde statt, da es die Anfechtungsklage des Klägers – anders als das Verwaltungsgericht – als unbegründet ansah.[4] Der Kostenbescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids setzt voraus, dass dieser auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruht und formell sowie materiell rechtmäßig ist. In der materiellen Rechtmäßigkeit des Bescheids ist wiederum die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung zu prüfen, welche ihrerseits die Rechtmäßigkeit der (hypothetischen) Grundverfügung voraussetzt. Es ist somit eine Schachtelprüfung dreier Verwaltungs- bzw. Realakte erforderlich.

Rechtsgrundlage des Kostenbescheids war im vorliegenden Fall § 8 Abs. 2 S. 1 BWPolG. Danach sind die Handlungs- oder Zustandsstörer zum Ersatz derjenigen Kosten verpflichtet, welche der Polizei durch die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme nach § 8 Abs. 1 S. 1 BWPolG entstanden sind.[5]

Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn die im Wege der unmittelbaren Ausführung getroffene Maßnahme, also das Abschleppen, selbst auch rechtmäßig war. Das Gericht bejaht die formelle Rechtmäßigkeit kurz und widmet sich dann der materiellen Rechtmäßigkeit, für die zunächst ein rechtmäßiger hypothetischer Grund-Verwaltungsakt erforderlich ist.[6]

Das Gericht prüft also zunächst die auf die polizeirechtliche Generalklausel des § 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 BWPolG gestützte Entfernungsverfügung.[7] Diese wird als rechtmäßig anerkannt, da u.a. durch die Verletzung der Parkvorschrift des § 12 Abs. 4 S. 1 StVO und des allgemeinen Verkehrsgebots des § 1 Abs. 2 StVO ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gefährdet ist und es auch verhältnismäßig wäre, das Entfernen des Fahrzeugs anzuordnen.

Die unmittelbare Ausführung der Maßnahme – das Abschleppen – setzt weiter voraus, dass eine Aufforderung an den Kläger als Verhaltens- und Zustandsstörer nicht geeignet gewesen wäre, um die Gefahr abzuwehren. Häufig ist dies der Fall, wenn der Polizeipflichtige nicht vor Ort ist. Weiterhin ist eine Aufforderung an den Verantwortlichen jedoch auch ausgeschlossen, wenn ihm das geforderte Verhalten tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Pflichtige mit dem Verhalten einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, da ein solcher Verwaltungsakt nach § 44 Abs. 2 Nr. 5 BWVwVfG auch nichtig wäre.

Die Besonderheit besteht hier darin, dass der Kläger anwesend und, wie sich später herausstellte, auch nüchtern und fahrtauglich war. Allerdings beurteilt sich die Tauglichkeit einer Maßnahme aus der ex ante-Perspektive des handelnden Beamten, maßgeblich sind die bei Anordnung der Maßnahme erkennbaren Tatsachen und vorhandenen Erkenntnisse. Das Gericht kam nach Würdigung der Aussagen der Polizeibeamten, zweier Zeugen, des Klägers, seines Beifahrers und des ärztlichen Protokolls zu dem Schluss, dass der Kläger bei der Fahrzeugkontrolle glasige Augen, zittrige Finger und einen schwankenden Gang hatte und dass ihn ein deutlich wahrnehmbarer Alkoholgeruch umgab. Außerdem hatte er sich vehement geweigert, einen Atemalkoholtest durchzuführen.
Daraus schließt das Gericht, dass aus der ex ante-Perspektive der Polizeibeamten tatsächliche Anhaltspunkte für eine konkrete Wahrscheinlichkeit  bestand, dass der Kläger fahruntauglich war.[8] Hätten sie ihn in diesem Moment aufgefordert, das Auto wegzufahren, hätte er – den Umständen zum Zeitpunkt der Entscheidung nach – gem. § 24a Abs. 1 StVG eine Ordnungswidrigkeit oder gar nach § 316 StGB eine Straftat begangen.[9] Eine solche Aufforderung wäre also nichtig und damit ungeeignet gewesen. Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der unmittelbaren Ausführung vor.

Im Rahmen der Ermessensentscheidung der Abschleppmaßnahme ist vor allem auffällig, dass es deutlich günstiger gewesen wäre, wenn nicht extra ein Abschleppunternehmen beauftragt worden wäre. Allerdings bestand eine interne Anweisung, dass die Polizeibeamten private Fahrzeuge nicht selbst bewegen sollen. Diese Anweisung wurde damit begründet, dass so das Haftungsrisiko reduziert wird und mit dem Abschleppunternehmen ein Regressschuldner für etwaige Amtshaftungsansprüche gewonnen wird.[10] Dass die Polizeibeamten den PKW nicht selbst umparkten, war somit nicht zu beanstanden. Auch der Beifahrer lehnte es ab, nach einem negativen Atemalkoholtest das Auto wegzufahren und der Kläger nahm auch nicht das Angebot an, jemanden telefonisch zu kontaktieren, der das Auto abholen könnte. Das Gericht entschied, dass die Polizisten damit genug andere Möglichkeiten angeboten hatten (Erforderlichkeit!), um Kosten zu vermeiden.

Nachdem mithin festgestellt ist, dass die hypothetische Entfernungsverfügung und das Abschleppen rechtmäßig waren, „tauchen“ wir in unserer Schachtelprüfung wieder „auf“ und prüfen die Ermessensausübung hinsichtlich der Aufforderung zur Kostenerstattung. Entgegen des Wortlauts des § 8 Abs. 2 S. 1 BWPolG steht der Polizei ein intendiertes Ermessen zu. Um einen Ermessensnichtgebrauch zu vermeiden, hat die Polizei lediglich festzustellen, ob vorliegend ein atypischer Fall in Betracht kommt oder nicht.[11] Ein atypischer Sachverhalt, bei dem die Kostentragung des Bürgers unbillig wäre, würde z.B. vorliegen, wenn die Störung nicht in die Risikosphäre des Verantwortlichen fällt, wenn er also nicht dafür verantwortlich war, dass aus ex ante-Betrachtung von einer Gefahr ausgegangen wurde.

Bei der Frage der Kostentragung handelt es sich nicht mehr um eine erforderliche effektive Gefahrenabwehr, sodass die Umstände aus ex post-Betrachtung zu bewerten sind. Die Polizei wusste bei der Frage, ob es im Einzelfall unbillig ist, dem Kläger die Kosten aufzubürden, bereits, dass dieser im Zeitpunkt der Kontrolle durchaus fahrtauglich war. Allerdings ist dem Kläger der Verdacht, dass er alkoholisiert war, zuzurechnen, da er sich vehement unkooperativ gezeigt hatte.[12] Die angeordnete Kostentragungspflicht ist also durch die von dem Kläger zurechenbar verursachte Anscheinsgefahr gerechtfertigt.[13]

Dieses unkooperative Verhalten darf auch berücksichtigt werden. Zwar gilt im Strafverfahren der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ipso accusare“). Im Polizeirecht kann er aufgrund des spezifischen Zwecks der Gefahrenabwehr jedoch nicht angewendet werden.[14]

Dogmatische Vertiefung

Wie angekündigt wollen wir nun einen Blick in die für Juristinnen und Juristen aus NRW scheinbar fremdartige Rechtspraxis wagen. Es ist sinnvoll hier und dort einen Blick nach links und rechts zu werfen, um den juristischen Geist ein wenig in Flexibilität zu üben und die grundlegende Fähigkeit des Juristen zu abstrahieren zu schulen.

I.       Unmittelbare Ausführung
In dem hier besprochenen Urteil wird die Abschleppmaßnahme im Wege der unmittelbaren Ausführung durchgeführt. Da es die unmittelbare Ausführung in einigen Bundesländern nicht gibt,[15] soll sie an dieser Stelle vorgestellt werden. Sie ist statthaft, wenn eine Grundverfügung nicht oder nicht mehr rechtzeitig erlassen werden kann. In den Ländern, die daneben auch noch den Sofortvollzug regeln,[16] müssen diese beiden Institute voneinander abgegrenzt werden. Nach h. M. erfolgt dies über die Willensrichtung des Betroffenen: Die unmittelbare Ausführung erfolgt im mutmaßlichen Willen des Pflichtigen, der Sofortvollzug gegen dessen Willen. An die Rechtsfigur der unmittelbaren Ausführung solltet ihr im Übrigen denken, wenn Bundespolizeibeamte handeln, da § 19 BPolG sie normiert.

II.   Prüfung eines Kostenbescheids
Einen Kostenbescheid zu prüfen kann aufgrund des verschachtelten Aufbaus unübersichtlich werden. Um einen guten Überblick zu behalten, ist eine geordnete Gliederung das A und O. Daher soll hier anhand des Klausurenklassikers „Abschleppfall“ ein Prüfungsschema vorgestellt werden, in das auch gleich die wichtigsten Problemkreise eingeordnet werden.[17] Grundsätzlich wird vom Handeln eines Ordnungsbeamten ausgegangen. Besonderheiten, die sich durch das Handeln eines Polizeibeamten ergeben, sind in roter Farbe eingefügt. Einzelne Lehrbuch-Probleme werden anschließend ausführlicher dargestellt. Wir erinnern uns an die oben beschriebene dreifache Prüfung der Rechtmäßigkeit verschiedener Regelungen und Akte in der Begründetheit. Dies ist unser Ausgangspunkt.

I.          Ermächtigungsgrundlage

·      §§ 55, 59 VwVG NRW (oder §§ 50, 52 PolG NRW) UND

·      § 77 Abs. 1 VwVG  NRW (zus. §§ 46 Abs. 3 S. 3 / 52 Abs. 1 S. 2 PolG NRW) UND

·      § 15 VO VwVG NRW (für Gebühren), § 20 Abs. 2 VO VwVG NRW (für Auslagen) UND

·      § 77 Abs. 4 S. 1 VwVG NRW i.V.m. § 14 GebG NRW (VA-Befugnis)

Hier stellt sich bereits das Problem der Rechtsnatur des Abschleppens (Sicherstellung / Ersatzvornahme), da die Ermächtigungsgrundlage hiervon abhängig ist (ausführlichere Darstellung unten)

II.          Formelle Rechtmäßigkeit

1.        Zuständigkeit: § 77 Abs. 1 S. 2 VwVG NRW

2.        Verfahren: § 28 Abs. 1 VwVfG NRW (kein Fall des Abs. 2 Nr. 5!)

3.        Form: § 14 Abs. 1 S. 4 GebG NRW i.V.m. § 77 Abs. 1 VwVG NRW – formlos

 

III.          Materielle Rechtmäßigkeit

1.        Rechtmäßige Amtshandlung – Inzidentprüfung Vollstreckungsmaßnahme

Die Vollstreckungsmaßnahme kann im Wege des gestreckten Verfahrens oder des Sofortvollzugs erfolgen. Zur besseren Übersichtlichkeit werden beide Wege nacheinander dargestellt.

 

Gestrecktes Verfahren

a.          Ermächtigungsgrundlage: § 55 Abs. 1 i. V. m. § 59 VwVG NRW
(oder § 50 Abs. 1 i. V. m. § 52 PolG NRW)

b.          Formelle Rechtmäßigkeit

aa.          Zuständigkeit: § 56 Abs. 1 VwVG NRW (analog)

Bei Maßnahmen von Polizeibeamten wird § 56 Abs. 1 VwVG NRW analog angewendet; bei Abschleppfällen ist die Zuständigkeit zu problematisieren, da das Wegfahrgebot, das vollstreckt werden soll, von einer anderen Behörde (idR der Gemeinde) erlassen wurde

=> Daher nach h. M. weitere Prüfung im Sofortvollzug

bb.          Verfahren: Anhörung entweder nicht erforderlich mangels VA-Qualität oder nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW entbehrlich

cc.          Form: je nach VA-Qualität der geprüften Maßnahme (Androhung, Festsetzung, Anwendung)

c.          Materielle Rechtmäßigkeit

aa.          Vollstreckbarer Titel

Bei Abschleppfällen ist zumeist das Verkehrsschild der vollstreckbare Titel (ausführlichere Darstellung unten)
(1)       Verfügungscharakter

(2)       Unanfechtbarkeit oder sofortige Vollziehbarkeit: bei Verkehrsschildern nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO analog (Funktionsgleichheit)

(3)       Erfordernis der Rechtmäßigkeit bei noch nicht unanfechtbarem VA

Dies ist strittig; nach der ganz h. M. ist die Rechtmäßigkeit jedoch nicht erforderlich. Der Streitentscheid ist entbehrlich, wenn der Grund-VA tatsächlich rechtmäßig ist, deshalb kann sich bereits hier eine Inzidentprüfung empfehlen

bb.          Ordnungsgemäßes Verfahren

(1)       Richtiges Zwangsmittel

(2)       Androhung, § 63 VwVG NRW

Dass die Androhung auch im gestreckten Verfahren nach § 63 Abs. 1 S. 5 VwVG NRW entbehrlich sein kann, wird von der h. M. aufgrund des Wortlauts „insbesondere“ bejaht
(3)       Festsetzung, § 64 VwVG NRW

Hieran wird auch für Ordnungsbehörden regelmäßig die Prüfung im Sofortvollzug bei einem Abschleppfall scheitern

Sofortvollzug

a.          Ermächtigungsgrundlage: § 55 Abs. 2 i. V. m. § 59 VwVG NRW
(oder § 50 Abs. 2 PolG i. V. m. § 52 PolG NRW)

b.          Formelle Rechtmäßigkeit

aa.          Zuständigkeit: § 56 Abs. 1 VwVG NRW (analog)

bb.          Verfahren: Anhörung nicht erforderlich mangels VA-Qualität

Teils wird eine analoge Anwendung des § 28 VwVfG NRW diskutiert, dann ist die Anhörung jedoch nach Abs. 2 Nr. 5 entbehrlich.

cc.          Form: formlos

c.          Materielle Rechtmäßigkeit

aa.          Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG NRW
(oder § 50 Abs. 2 PolG NRW)

(1)       Hypothetischer rechtmäßiger Grund-VA – Inzidentprüfung

(a)   Ermächtigungsgrundlage: § 14 Abs. 1 OBG NRW (oder § 8 PolG NRW)

§ 45 Abs. 1 StVO ist nur die Ermächtigungsgrundlage für das Aufstellen des Verkehrsschilds, das ein Halteverbot beinhaltet; das zu vollstreckende Wegfahrgebot wird konkludent hineingelesen und stützt sich auf die Generalklausel
(b) Formelle Rechtmäßigkeit

(c)   Materielle Rechtmäßigkeit

Auf Tatbestandsebene wird die Gefahr für die öffentliche Sicherheit aufgrund eines Verstoßes gegen die StVO bejaht

(2)       Gegenwärtige Gefahr

(3)       Notwendigkeit

bb.          Ordnungsgemäßes Verfahren

(1)              Richtiges Zwangsmittel

(2)              Androhung ist entbehrlich, § 63 Abs. 1 S. 5 VwVG NRW

(3)              Festsetzung entfällt, § 64 S. 2 VwVG NRW

(4)              Anwendung: insbesondere Verhältnismäßigkeit

cc.          Keine Vollzugsvollstreckungshindernisse

2.        Richtiger Kostenschuldner

3.        Berechtigung der Kosten nach der Art und Höhe: insbesondere Verhältnismäßigkeit

 

III.   Einzelne Klassikerprobleme beim Abschleppfall

1. Rechtsnatur des Abschleppens
Die Einordnung der Rechtsnatur des Abschleppens wegen verbotswidrigen Parkens ist ein Standardproblem, das aber bis heute hohe Relevanz für Klausuren besitzt. Bereits bei der statthaften Ermächtigungsgrundlage ergibt sich ein Unterschied, je nachdem, welche Rechtsnatur man annimmt, weil sich die Auslagen und Gebühren nach der VO VwVG danach richten, ob man eine Sicherstellung und Verwahrung oder eine Ersatzvornahme eines Wegfahrgebots annimmt. Die Problematik erfasst nicht die Fälle, in denen es eindeutig nur auf die Verwahrung ankommt, z.B. bei dem Abschleppen eines geklauten Autos, um es zu sichern.

Nach einer früher vertretenen Ansicht soll es sich beim Abschleppen stets um eine Sicherstellung handeln, da der Regelungsgehalt der Sicherstellung i. S. d. § 43 PolG NRW i. V. m. § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW nicht nur darin bestehe, die Herausgabe der Sache zu verlangen, sondern auch die Besitzbegründung durch die Behörde umfasse.

Andererseits wird vertreten, dass danach differenziert werden muss, ob es sich um ein Abschleppen auf den Betriebshof eines Unternehmers handelt (dann sei es eine Sicherstellung und Verwahrung) oder ob das Auto nur umgesetzt wird (dies stelle eine Ersatzvornahme dar). Es wird also ein einheitlicher Vorgang angenommen, dessen Rechtsnatur sich nur nach dem Umfang des Abschleppens richtet.

Die herrschende Meinung sieht in dem Abschleppvorgang zwei Maßnahmen.[18] Der reine Abschleppvorgang, also das Versetzen des Fahrzeugs, soll eine Ersatzvornahme eines Wegfahrgebots darstellen und das anschließende Abstellen auf den Betriebshof des Unternehmers eine Sicherstellung und Verwahrung.

Für diese Ansicht spricht, dass sich bereits aus der VO VwVG ergibt, dass zwischen Abschleppen und Verwahrung differenziert wird und die Verwahrung sehr unterschiedlich teuer sein kann (ja nachdem, wie lange der PKW dort steht), während das Umsetzen immer ungefähr gleich teuer sein wird. Die beiden Vorgänge weisen Unterschiede auf, die es verbieten, eine einheitliche Maßnahme anzunehmen. Der reine Abschleppvorgang kann nicht als Sicherstellung zu werten sein, da die Sicherstellung gerade nicht die zwangsweise Besitzbegründung erfasst (und einen tatsächlichen Willen der Ordnungsbehörde, das Kfz in Besitz zu nehmen kann man wohl nicht annehmen). Bei der Sicherstellung soll zudem gerade die Gefahr durch die Inbesitznahme abgewehrt werden und beim Abschleppen wird die Gefahr bereits mit dem Entfernen des Fahrzeugs abgewehrt. Das reine Umsetzen erfasst auch begrifflich schon keine Verwahrung.

2. Verkehrsschild als vollstreckbarer Titel
Bei Abschleppfällen ist zumeist das Verkehrsschild der vollstreckbare Titel.[19] Es handelt sich um eine Allgemeinverfügung i. S. d. § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG NRW und die Bekanntgabe erfolgt durch Aufstellen des Schilds nach § 45 Abs. 4 StVO, wenn der durchschnittliche Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt das Schild durch einfache Umschau erfassen kann – dies wird dogmatisch dies entweder als Bekanntgabe sui generis oder als öffentliche Bekanntgabe i. S. d. § 41 Abs. 3 VwVfG NRW eingeordnet. Das Schild enthält ein Halte- bzw. Parkverbot, das von der Straßenverkehrsbehörde gem. §§ 45 Abs. 1, 44 Abs. 1 StVO erlassen werden konnte und ein konkludentes Wegfahrgebot, das sich auf § 14 OBG NRW (bzw. § 8 PolG NRW) stützt. Dies gilt ebenso bei Parkscheinautomaten oder sogar defekten Parkscheinautomaten (§ 13 StVO). Das Wegfahrgebot wird beim Abschleppen vollstreckt.

Parkt ein Bürger ordnungsgemäß an einer Stelle und wird danach dort ein mobiles Halte- oder Parkverbotsschild aufgestellt, stellt sich bezüglich der Bekanntgabe das Problem, dass der Bürger nie Kenntnis von dem Schild erlangt hat. Nach der herrschenden Meinung wird dennoch eine Bekanntgabefiktion mit dem Aufstellen des Schilds nach den oben beschriebenen Regeln für Verkehrsschilder angenommen. Es komme ohnehin auf die mögliche Kenntnisnahme eines durchschnittlichen Kraftfahrers an. Ferner wird angenommen, dass der Fahrzeughalter durch sein Fahrzeug repräsentiert wird, da man am Straßenverkehr auch durch das Parken des nach dem Abstellen unbemannten Fahrzeugs teilnimmt. Auf der Primärebene des Abschleppens ergeben sich ansonsten bei nachträglich aufgestellten Schildern keine Unterschiede zu anderen Abschleppkonstellationen. Auf der Sekundärebene der Kostentragungspflicht muss jedoch beachtet werden, dass diese nur verhältnismäßig ist, wenn zwischen dem Aufstellen des Schilds und dem Abschleppen bereits drei volle Tage vergangen sind.[20]

Fassen wir zusammen:

Es muss wie folgt differenziert werden: Das nachträglich aufgestellte Verkehrsschild wird gemäß §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO durch das bloße Aufstellen wirksam; insoweit verdrängen die spezielleren Vorschriften der StVO hier die allgemeinen Vorschriften des VwVfG zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes in Gestalt einer Allgemeinverfügung. Auf zweiter Ebene schließt sich dann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung an. [21]

 

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[1] Fyi: In Deutschland ist Rechtsgrundlage für einen solchen verdachts- und ereignisunabhängigen Eingriff der § 36 Abs. 5 StVO.
[2] Fyi: In Frankreich sind alle Kraftfahrzeugführer grundsätzlich verpflichtet, ein solches einfaches Blasröhrchen (oder ein anderes Gerät zur Messung des Atemalkohols) mitzuführen. Diese Regelung gilt auch für ausländische Kraftfahrer, die ihren Urlaub in Frankreich verbringen oder sich auf der Durchreise befinden. Hintergrund: Alkoholmissbrauch am Steuer ist in Frankreich für 31 Prozent aller Verkehrstoten verantwortlich.
[3] Fyi: Dem Begriff „Betriebsgefahr“ begegnen wir normalerweise im Rahmen des § 7 I StVG – Fahrzeughalter(gefährdungs)haftung. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb“ werden sodann zwei Auffassungen vertreten: die maschinentechnische Auffassung verlangt, dass der Motor eingeschaltet ist und sich der Wagen infolge der maschinellen Kräfte bewegt (dafür spricht der Wortlaut). Die Rspr. legt den Begriff deutlich weiter aus mit der sog. verkehrstechnischen Auffassung: Ein Kfz ist demnach in Betrieb, sofern es sich im öffentlichen Verkehrsbereich bewegt oder in irgendeiner verkehrsbeeinflussenden Art und Weise ruht (Arg.: StVG regle auch ruhenden Verkehr; Telos spreche ebenso für den Einbezug ruhender KFZ, wenn diese den fließenden Verkehr beeinflussen).
[4] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911.
[5] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 24.
[6] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 22.
[7] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 26 ff.
[8] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 31 ff.
[9] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 43 f.
[10] Fyi: Auch der Abschleppunternehmer wird als Verwaltungshelfer als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne angesehen, sodass ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG möglich ist.
[11] Fyi: Grundsätzlich indiziert eine fehlende Begründung der Ermessensentscheidung einen Ermessensnichtgebrauch.
[12] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 64.
[13] Fyi: Anscheinsstörer ist, wer objektiv keine Gefahr verursacht, jedoch ex ante den Eindruck einer Gefahr erweckt hat. Hat der Anscheinsstörer diesen Eindruck zu vertreten, muss er die Kosten für getroffene Maßnahmen tragen.
[14] VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.2022 – 1 S 2283/20, NVwZ-RR 2022, 911 Rn. 64, 66.
[15] In Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein richten sich die Maßnahmen stattdessen nach den Vorschriften über den Sofortvollzug.
[16] Namentlich Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
[17] Das Prüfungsschema folgt dem nordrhein-westfälischen Recht.
[18] Vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 23.2.2005 – 3 L 114/03, LKV 2006, 225 f.; Michaelis, Jura 2003, 298, 299 ff; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2022, Rn. 164 ff. jeweils auch mit Nachweisen zur Gegenmeinung, die angesichts des insoweit offenen Wortlauts des § 41 ASOG natürlich auch vertretbar ist; a. A. VG Münster, NWVBl. 2007, 242.
[19] Siehe hierzu grundlegend BVerwG, Urt. v. 07.11.1977 – VII B 135.77, NJW 1978, 656 f.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs – VwVfG, 10. Aufl. 2022, § 35 Rn. 334 ff.
[20] BVerwG, Urteil v. 24.05.2018 – 3 C 25/16, NJW 2018, 2910.
[21] Verfasserin:    Cathalena Kleinert, Wiss. Mitarbeiterin bei HLB Schumacher Hallermann.

Supervision:       Dr. Lennart Brüggemann, Rechtsanwalt bei HLB Schumacher Hallermann & Christian Lederer, Wiss. Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

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