Entscheidung des Monats Januar 2022
Mietrecht - Bolzplatzrechtsprechung
Fröhliches Frühlingsgezwitscher vor den Fenstern, friedliches Plätschern des nahegelegenen Bachlaufs, tosendes Dröhnen von Großmaschinerien und Presslufthammern. Passt nicht? Diese Ansicht teilen zwei Berliner Mieter und zogen daher mit ihrem Begehren einer Mietminderung bis vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Die Entscheidung des Monats Januar (BGH, 24.11.2021 – VIII ZR 258/19) – die erste dieser
Serie im neuen Jahr – stammt diesmal aus dem Mietrecht und beansprucht dort
mittlerweile beinahe Kultstatus. Sie befasst sich mit der Berechtigung des Mieters zur
Minderung wegen Lärmbelästigung durch eine benachbarte Großbaustelle und reiht sich
damit nahtlos in die in Literatur und Justiz stark polarisierende „Bolzplatzrechtsprechung“
des BGH ein (dazu im Fazit mehr).
Für Eilige: Tritt nach Abschluss eines Mietvertrags erheblicher Baustellenlärm auf einem
Nachbargrundstück auf, berechtigt dies bei Fehlen einer entsprechenden
Beschaffenheitsvereinbarung nicht grundsätzlich zu einer Mietminderung. Laut dem
VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs sei die Freiheit einer Wohnung von Baulärm nicht
grundsätzlich Gegenstand einer stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung
zwischen Mieter und Vermieter. Anderes könne dann gelten, wenn der Vermieter selbst
Abwehr- oder Entschädigungsansprüche gegen den Störer geltend machen kann.
Der Revisionsentscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kläger bewohnten seit 2011 eine in einem Mehrfamilienhaus gelegene Wohnung in
Berlin zu einer monatlichen Miete iHv. 778 Euro. Bei Vertragsschluss gab es auf der
gegenüberliegenden Straßenseite eine Kleingartenkolonie, auf dem die Streithelferin
der Vermieterin ab November 2017 vier Neubauten mit sechs bis acht Vollgeschossen samt Unterkellerung und einer Tiefgarage mit einer Gesamtwohnfläche von 17.038 m² errichtete. Der durch die Baustelle auf ihre Wohnung einwirkende Baulärm sowie die mit den Arbeiten verbundenen Staubimmissionen veranlassten die Bewohner, die Miete um 30% zu mindern. Sowohl das AG Berlin- Charlottenburg (16.08.2018 – 226 C 98/18) als auch das LG Berlin (21.08.2019 – 64 S 190/18) entsprachen ihrem Anliegen teilweise und billigten ihnen eine Minderung iHv. 15% zu. Zudem verurteilten die Richter am Landgericht die Vermieterin zur Rückzahlung von Mietzahlungen in Höhe von 817 Euro. Das Maß der auf eine Mietwohnung einwirkenden Immissionen werde stillschweigend Gegenstand der vertraglichen Beschaffenheitsvereinbarung, sodass eine erhebliche Verschlechterung des Immissionsniveaus einen Mangel darstelle, so die Argumentation. Die Revision der Vermieterin beim BGH hatte nun Erfolg.
Die obersten Zivilrichter konnten – im Gegensatz zu den Vorinstanzen – keinen Mietmangel feststellen. Dabei übte der VIII. Zivilsenat reichlich Kritik an seinen Kritikern. Betreffend der Berufungsentscheidung des LG ist die Rede von einem „grundlegenden Fehlverständnis“ und einer „Nichtbeachtung“ der einschlägigen Senatsrechtsprechung. Es werde bewusst von dieser abgewichen und so die Anforderungen an einen Mangel der Mietwohnung wegen Lärm- und Schmutzimmissionen, die von einer auf einem benachbarten Grundstück betriebenen Baustelle auf diese einwirkten, zu niedrig angesetzt (§ 536 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB). Das LG sei rechtsfehlerhaft vom Vorliegen einer stillschweigend getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung zur „Freiheit der Wohnung von Baulärm“ mangels Existenz einer benachbarten Baustelle bei Abschluss des Mietvertrags ausgegangen. Doch auch
eine konkludente Beschaffenheitsvereinbarung setze zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für deren Annahme bezüglich einer „Umweltbedingung“ reiche es nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Sache (nicht) einwirkenden Umstand (wie die Abwesenheit von Baulärm) in einer für ihn vorteilhaften Weise wahrnehme und er sich wegen dieses Umstands dafür entscheide, die Wohnung anzumieten.
Zuletzt monierte der BGH, dass das LG vor diesem Hintergrund pauschal von einer
Mietbeeinträchtigung ausgegangen sei, sowie davon, dass angesichts der
„typischerweise“ mit den durch eine derartige Großbaustelle verbundenen Lärm- und
Schmutzimmissionen eine Mietminderung von 15 % angemessen sei. Diese Fragen müsse
es im Einzelnen prüfen und auch in Erwägung ziehen, ob die Vermieterin selbst
Abwehransprüche gegen Lärm und Staub gehabt hätte.
Im Ergebnis wenig überraschend bleibt der BGH seinem umstrittenen Tenor aus der
ersten (29.04.2015, NJW 2015, 2177) und zweiten (29.04.2020, NJW 2020, 2884)
„Bolzplatzentscheidung“ treu (= Baulärm durch benachbarte Baustelle ist nur ein Mangel
der Mietsache, wenn der Vermieter selbst Abwehr- oder Entschädigungsansprüche gegen den Störer hätte).
Das Mietrecht ist sowohl im ersten als auch im zweiten Staatsexamen beliebter
Prüfungsstoff, da es in der Praxis immer wieder neue Fallgestaltungen bietet, die sich gut
in eine Klausur verwandeln lassen. Insbesondere der Mangelbegriff im Mietrecht ist ein
immer wiederkehrender Prüfungsklassiker. Hier ist es wichtig, die Grundlagen zu
beherrschen und die konkreten Umstände des Einzelfalls genau herauszuarbeiten und zu
bewerten.
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