Entscheidung des Monats Mai 2025

Staatshaftungsrecht - öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Folgenbeseitigungsanspruch

Worum geht es? Staatshaftungsrecht | Öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) | StrWG NRW | Duldungspflicht | Kausalzusammenhang | Mitverschulden | Selbsthilferecht.

Hinweis vom HLB-Team:

„Die Gesetzeslektüre erleichtert die Rechtsfindung.“ Eine der bekanntesten Binsenweisheiten aus dem Jurastudium. Ob es die eigenen AG-Kollegen im Kontext einer knackigen Fallprüfung waren oder der Professor, der seit zwei Jahrzehnten eben jenen Paragraphen liest, auseinander klamüsert und nach den einschlägigen Tatbestandsmerkmalen fragt, dessen „Schema“ einem gerade schlicht nicht einfallen will. Allerdings: Der Blick ins Gesetz erleichtert in aller Regel tatsächlich die Rechtsfindung. Gesetze geben euch einen gangbaren Weg vor, den ihr nur noch mit eurem „Subsumtions-Auto“ herunterfahren müsst, einen ersten Aufschlag, den es sodann nur noch zu parieren gilt. Beispiel gefällig? Man schaue im Zivilrecht nur auf die Erwerbstatbestände in den §§ 929 ff. BGB: Eindeutiger kann der „Prüfbefehl“ kaum niedergeschrieben werden. Und wer nun meint, dass im § 932 BGB gar nichts von einem „Rechtsgeschäft iSe Verkehrsgeschäfts“ steht, der lasse diesen Schritt einfach entfallen. Eurer Note wird das keinen Abbruch tun. Anders natürlich bei der „Vermögensverfügung“ im Rahmen des § 263 Abs. 1 StGB: Hier ist jeder gut beraten, die implizit im Charakter des Betruges als Selbstschädigungsdelikt versteckte Tatbestandsvoraussetzung stets zu prüfen. Jedoch gibt es einen Bereich, in dem das Gesetz leider häufiger schweigt: Das öffentliche Recht. Hier geben überdurchschnittlich häufig dogmatische „Erfindungen“ der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Prüfprogramm vor. Speziell im Staatshaftungsrecht kann so mancher Studierender den Glauben an die Kodifizierung des Rechts verlieren. Vorhang auf: Die ungeschriebenen Ansprüche des öffentlichen Rechts. Gewohnheitsrechtlich anerkannt, jedoch augenscheinlich nirgends normiert sind sie für Studierende vielmehr ungewohnt und – im wahrsten Sinne – abseits der Norm. Ihre Relevanz ist dabei jedoch unbestreitbar. Zudem lassen sich bei Kenntnis der Rechtsordnung, insb. der §§ 1004, 812 BGB, parallele Strukturen ausmachen, die einem die öffentlich-rechtliche Prüfung beinahe doch klar vorgeben.

Jüngst hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW (Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264) einen Fall zu beurteilen, in welchem die Wurzeln von Bäumen in öffentlicher Hand das Grundstück einer Klägerin beschädigten. Die in Klausuren häufig relevante Frage nach der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs, bzw. im „§ 1004er-Jargon“ nach einer einschlägigen Duldungspflicht zulasten der Klägerin, war streitentscheidender und höchst lesenswerter Schwerpunkt der Entscheidung. Viel Spaß!


Die Hintergründe der Entscheidung

Unserer diesmonatigen Entscheidung geht ein seit einem Jahrzehnt – im Wortsinn – heranwachsender Rechtsstreit voraus.[1] Der ursprüngliche Sachverhalt lässt sich im Grunde leicht erfassen: Platanen – laubabwerfende Bäume mit Wuchshöhen bis zu 50 Metern und entsprechendem Wurzelfundament – zieren die Seiten einer öffentlichen Straße. Die Wurzeln zweier dieser Bäume schlugen unterirdisch unter das Grundstück einer Anwohnerin und trugen dort dazu bei, Rasenfläche und Betonplatten anzuheben und zu beschädigen.

In dem darauffolgenden Amtshaftungsprozess im Jahr 2012 hatte das Landgericht (LG) Mönchengladbach die Stadt S, als Trägerin der Straßenbäume auf öffentlichem Gehweg, rechtskräftig verurteilt, der Grundstückseigentümerin und Klägerin K einen Schadensersatz iHv. 1.428,08 EUR zu zahlen. Das LG stellte aufgrund eines Sachverständigengutachtens fest, dass das Wurzelwerk der städtischen Bäume unter anderem zu Hebungen und Beschädigungen der plattierten Zuwegungen im Eingangs- und Garagenbereich[2] der K geführt hatte. Gleichzeitig wurde ein Abzug „neu für alt“ sowie ein Mitverschuldensanteil der K aufgrund mangelhafter Bauausführung (schwaches Betonfundament) berücksichtigt.[3]

Hinweis: ABDRÄNGENDE SONDERZUWEISUNG, § 40 ABS. 2 S. 1 HS. 1 VWGO

Trotz Vorliegens einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art kann gleichwohl der Verwaltungsrechtweg nicht eröffnet sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Gesetzgeber den Rechtsstreit einem anderen Gericht zur Entscheidung zugewiesen hat. In Fällen der Amtshaftung ist dies mit Ausnahme des Folgenbeseitigungsanspruchs (!) gem. § 40 ABS. 2 S. 1 HS. 1 VWGO der Fall:
Demnach sind von der abdr. Sonderzuweisung umfasst: Ansprüche aus (1) Aufopferung, (2) öffentlich-rechtlicher Verwahrung und (3) Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten (insb. Amtshaftungsansprüche nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB und Sekundäransprüche aus öffentlich-rechtlichem Schuldverhältnis (str., soweit nicht Verwahrung).
Weitere relevante abdrängende Sonderzuweisungen sind: § 23 EGGVG für Justizverwaltungsakte und Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG für die Enteignungsentschädigung.

 

Acht Jahre später, im Jahr 2020, klagte die K erneut vor dem LG. Diesmal begehrte sie die Beseitigung der seit 2012 neu gewachsenen Wurzeln sowie die anschließende Neuverlegung der Betonplatten.[4] Das OLG Düsseldorf stellte jedoch fest, dass der bestrittene (ordentliche) Rechtsweg unzulässig sei, weshalb das angerufene LG die selbige an das zuständige Verwaltungsgericht (VG) verwies: Die abdrängende Sonderzuweisung des § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO sei nicht einschlägig. Vielmehr seien vorliegend die Normen des öffentlichen Rechts streitentscheidend: Die Beklagte, S, wehrte sich namentlich unter Bezugnahme auf das Straßen- und Wegerecht. Sie führte insbesondere an, dass einem Beseitigungsanspruch die Regelung des § 32 Abs. 2 S. 1 StrWG NRW a. F. (= § 32 Abs. 3 S. 1 StrWG NRW) entgegenstünde, wonach die Eigentümer von Grundstücken die Einwirkungen von Pflanzen im Bereich des Straßenkörpers und alle Maßnahmen zu ihrer Erhaltung und Ergänzung zu dulden hätten. Zudem wären die Schäden von den Baumwurzeln nur

Hinweis: Nachbarrechtliche Duldungspflicht, § 32 Abs. 3 S. 1 StrWG NRW

(1) …

(2) …

(3) 1Die Eigentümer und die Besitzer von Grundstücken an öffentlichen Straßen haben die Einwirkungen von Pflanzungen im Bereich des Straßenkörpers und der Nebenanlagen und die Maßnahmen zu ihrer Erhaltung und Ergänzung zu dulden. 2Sie haben der Straßenbaubehörde rechtzeitig vorher anzuzeigen, wenn sie Wurzeln von Straßenbäumen abschneiden wollen.

 

mitverursacht worden und die K hätte auch seit 2012 keinerlei Veränderungen hinsichtlich der tatsächlichen und örtlichen Verhältnisse vorgenommen.[5]

Das VG wies die Klage mit Urteil vom 9. März 2022 ab. Es sah keinen Anspruch auf Beseitigung der Wurzeln, insbesondere nicht unter Berufung auf allgemeines Nachbarrecht. Es entschied zugunsten der Beklagten und erkannte u. a.: „Beim Überwachsen von Zweigen und Wurzeln handele es sich um die typischen Begleiterscheinungen, die von Straßenanpflanzungen ausgingen. Der Gesetzgeber habe den Anlieger darauf verwiesen, über die Grenze wachsende Zweige und Wurzeln – wie auch im Zivilrecht vorgesehen – selbst abzuschneiden. Diese Befugnis sei jedoch überdies insoweit eingeschränkt, als dies bei Wurzeln rechtzeitig anzuzeigen sei. Schließlich sei der Naturschutz zu berücksichtigen, der durch die straßenrechtlichen Regeln nicht gegenstandslos werde.“[6]

Hiergegen legte die K Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW ein: „Die Wurzeln hätten inzwischen ein bedrohliches Ausmaß erreicht. Sie näherten sich dem Gebäude und erreichten es in Teilen schon fast, so dass auch die Gebäudesubstanz gefährdet werde. Die Platanen seien erst nach Errichtung der Wohngebäude gepflanzt worden und entgegen dem Stand der Technik nicht mit einer Wurzelsperre versehen. Ausweislich der Auskunft einer Gartenbaufirma, die sich die Zuwegung u. a. zur Garage angeschaut habe, sei davon abzuraten, eine Neuverlegung oder Höherlegung der Zuwegungen vorzunehmen, da die neu erstellte Fläche voraussichtlich nach kurzer Zeit wieder durch den fortschreitenden Wurzelwuchs beschädigt werde. […] Sie leide im Übrigen an einer Schimmelpilzallergie gegen sämtliche relevanten Schimmelpilzarten.“[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Berufung und bestreitet insbesondere eine Kausalität des erneuten Wurzelwachstums mit etwaigen neuen Schäden; diese seien vielmehr auf den bereits 2012 festgestellten mangelhaften Unterbau und von der K unterlassene Kappungsmaßnahmen zurückzuführen.[8] Das OVG NRW wies diese Berufung kürzlich mit Beschluss[9] vom 17.2.2025[10] ab.

 

Die Entscheidung

Vor dem OVG ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Klägerin weiterhin zumutbaren Einwirkungen unterliegt (= Duldungspflicht) oder ob ein Anspruch auf Beseitigung der Wurzeln und Wiederherstellung der Zuwegung besteht – insbesondere im Spannungsfeld zwischen nachbarlichem Eigentumsschutz und naturschutzrechtlicher sowie straßenrechtlicher Duldungspflicht.

Die Klage der K gegen S hat Erfolg, soweit die Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen (A.) und die Klage begründet (B.) ist.

A. Sachentscheidungsvoraussetzungen

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

#Definition Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art eröffnet. Öffentlich-rechtlich ist eine Streitigkeit, wenn die für den Streitgegenstand streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind (modifizierte Subjektstheorie).

 

Streitgegenstand ist hier die Beseitigung des Wurzelwerks zweier auf den von der B betriebenen öffentlichen Straßen belegenen Bäumen sowie die Neuverlegung von Betonplatten. Würde die K bloßen Schadensersatz begehren, so würde ein Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB (analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB) in Betracht kommen.[11] Im Berufungsverfahren vor dem Senat macht die Klägerin hingegen einen Abwehr- und Unterlassungs- bzw. einen Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) geltend, der – anders als der in dem vorausgegangenen Zivilprozess geltend gemachte Anspruch – nicht auf Schadensersatz (od. Naturalrestitution), sondern Beseitigung/Unterbinden der Störung gerichtet ist.[12]

Streitgegenständlich ist somit in Bezug auf die noch andauernden sowie zukünftige Störungen durch das Wurzelwerk ein öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch sowie in Bezug auf die bereits eingetretenen Störungen ein FBA[13], sodass der Verwaltungsrechtsweg

#Abgrenzung Abwehr- und Unterlassungsanspruch VS FBA

Beide Ansprüche gehören zur Gruppe der verwaltungsrechtlichen (subjektiv-öffentlichen) Abwehransprüche und sind nicht ausdrücklich geregelt, wenngleich gewohnheitsrechtlich anerkannt. Das Wissen um die Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute voneinander gehört zu den essentialia des Examens. Insbesondere in Hinblick auf das Anspruchsziel/Rechtsfolge sowie ihren zeitlichen Bezugspunkt sind sie leicht auseinander zu halten:

Ziel AU-A:    Abwehr od. Verhinderung zukünftiger / noch andauernder rechtswidriger Eingriffe.

RF:      Unterlassung oder Abwehr des Eingriffs.

Ziel FB-A:      Beseitigung eines bereits eingetretenen rechtswidrigen Zustands (RWK des Eingriffs egal).

RF:      Wiederherstellung des status quo ante / Beseitigung der Störung (aktives Tun).

 

 

mangels abdrängender Sonderzuweisung gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist.[14]

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren der K (vgl. § 88 VwGO). Das Begehren der K, die S zu verurteilen, die sich unterhalb der plattierten Zuwegungen zur Hauseingangstür sowie zur Garage befindlichen Wurzeln zu entfernen und die vorhandenen Betonplatten neu zu verlegen, ist auf die Verurteilung der Beklagten zu schlicht hoheitlichem Handeln gerichtet. Statthaft ist demnach die allgemeine Leistungsklage, die u.a. in § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO vorausgesetzt wird und auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet ist, das nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht.

III. Klagebefugnis

K ist analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, wenn ihr möglicherweise der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung bzw. Folgenbeseitigung zusteht. Ein solcher, jedenfalls allgemeiner öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch ist hier wegen der möglichen Beeinträchtigung ihrer subjektiven Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht offensichtlich ausgeschlossen. K ist somit klagebefugt.

IV. Klagegegner

Klagegegner ist nach dem allgemeinen Rechtsträgerprinzip bzw. analog § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO die S.

V. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit

K ist nach §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beteiligungs- und prozessfähig. Für S ergibt sich das aus den §§ 61 Nr. 1 Alt. 2, 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO; sie wird gem. § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW vom Oberbürgermeister vertreten.

VI. Zwischenergebnis:

Die in Form der Leistungsklage erhobene Klage ist zulässig.

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, soweit K die geltend gemachten Ansprüche zustehen.

I. Beseitigung der Wurzeln

  1. Spezielle (einfachgesetzliche) Anspruchsgrundlagen

Spezielle einfachgesetzliche Anspruchsgrundlagen – etwa aus Nachbarrecht, Naturschutzrecht oder dem Straßen- und Wegerecht – sind hier nicht ersichtlich.

  1. Öffentlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch / Folgenbeseitigungsanspruch
FBA AUA
1) Herleitung* (s. hierzu dogmatische Vertiefung) 1) Herleitung*
2) Hoheitliche Maßnahme 2) Hoheitliche Maßnahme
3) Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht (idR. Art. 14 Abs. 1 GG) und dadurch 3) Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht (idR. Art. 14 Abs. 1 GG):
Zustand, der

a. kausal für Rechtsverletzung ist,

Eingriff, der

a. kausal für Rechtsverletzung ist,

b. noch andauert (!) und b. unmittelbar bevorsteht (Erstbegehungs-) bzw.

widerholt droht (Widerholungsgefahr)

c. rechtswidrig ist (NICHT die Eingriffshandlung muss rechtswidrig sein!) c. rechtswidrig ist
4) RF: Widerherstellung des status quo ante (zulässig, möglich und zumutbar) 4) RF: Anspruch auf Unterlassen

 

K könnte jedoch ein öffentlich-rechtlicher Abwehr- und Unterlassungsanspruch bzw. ein Folgenbeseitigungsanspruch in Hinblick auf die Wurzeln unter den plattierten Zuwegungen zustehen.[15] Zwar ist im Einzelnen streitig, woraus diese Ansprüche abzuleiten sind. Im Ergebnis sind sie jedoch gewohnheitsrechtlich anerkannt.

Dabei erfasst der öffentlich-rechtliche Abwehr- und Folgenbeseitigungsanspruch „nach st.Rspr. auch die Folgen schlicht hoheitlichen Handelns, so wie sie hier wegen der von auf dem Straßengrundstück gepflanzten Bäumen in das Grundstück der Klägerin hineinwachsenden Wurzeln im Streit stehen. Dieser Anspruch [sic!] setzt einen hoheitlichen Eingriff voraus, der ein subjektives Recht des Betroffenen verletzt. Für den Betroffenen muss dadurch ein rechtswidriger Zustand entstanden sein, der noch andauert und den er nicht dulden muss.“[16]

a) Eine hoheitliche Maßnahme bezeichnet jedes auf Sonderrechte gestützte Handeln.

Die Errichtung und die Unterhaltung der Platanen auf öffentlichem Grund stellen nach o.g. Maßstäben hoheitliche Handlungen dar.

b) Hierdurch wird zwar nicht im klassischen Sinne in das Eigentumsrecht des K (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf körperliche Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) eingegriffen.

Nach modernem Eingriffsbegriff stellt jedoch jede Beschränkung/Beeinträchtigung des Schutzbereichs, die staatlichem Handeln zurechenbar ist, einen Eingriff dar. Hiernach wird jedenfalls die Nutzung des Eigentums am Grundstück („Stolperfallen“ durch die wurzelbedingten Erhebungen) sowie die Gesundheit der K (vorgetragene Schimmelpilzallergie) durch einen unterirdischen Wurzeleinfall im Grundstück der K beeinträchtigt.

c) Die Beeinträchtigung müsste dem Staat auch zurechenbar sein (sog. Unmittelbarkeitszusammenhang).

Der unterirdische Wurzelschlag der Platanen war zwecks derer Gedeihen letztlich vom Staat als Saatgutleger intendiert und stellt folglich eine unmittelbare Folge des hoheitlichen Handelns dar. Die Beeinträchtigung ist dem Staat daher auch zurechenbar.

Hinweis: Unmittelbarkeitszusammenhang, FBA/AUA

Wie bei anderen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen ist auch hier häufig von einem „Unmittelbarkeitszusammenhang“ die Rede. Gemeint ist damit nicht, dass das hoheitliche Handeln die zeitlich letzte Ursache gewesen sein muss. Vielmehr geht es um eine wertende Zurechnung.

Wenn es um einen nicht-klassischen Eingriff in ein Grundrecht geht, kann diese Fragen auch beim vorherigen Punkt (Eingriff) geprüft werden, weil beim modernen Eingriffsbegriff ja ohnehin zu prüfen ist, ob die Beeinträchtigung des Schutzbereichs staatlichem Handeln zurechenbar ist.

 

d) Der Eingriff müsste auch rechtswidrig sein; der Eingriff ist jedoch nur rechtswidrig, wenn K keine Duldungspflicht trifft.[17]

Eine Duldungspflicht betreffend Pflanzungen an Straßen könnte sich aus § 32 Abs. 3 S. 1 StrWG NRW ergeben. Danach haben die Eigentümer und Besitzer von Grundstücken an öffentlichen Straßen die Einwirkungen von Pflanzungen im Bereich des Straßenkörpers und der Nebenanlagen und die Maßnahmen zu ihrer Erhaltung und Ergänzung zu dulden. Die Duldungspflicht bewirkt eine Beschränkung der Eigentümerbefugnisse des Straßenanliegers. Hierbei handelt es sich jedoch um keine Enteignung iSd. Art. 14 Abs. 3 GG,

#Abgrenzung Enteignung VS ISB

Unter einer Inhalts- und Schrankenbestimmung (ISB) versteht man jede abstrakt-generelle Festlegung der mit dem Eigentum verbundenen Rechte und Pflichten gegenüber dem Einzelnen oder gegenüber der Allgemeinheit.

Die Enteignung stellt dagegen eine vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Eigentumspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben dar. Sie erfolgt entweder durch Gesetz (Legalenteignung): Entziehung konkreter Eigentumsrechte zul. eines bestimmten oder bestimmbaren Personenkreises oder aufgrund Gesetzes durch administrative Maßnahmen (Administrativenteignung): Entziehung konkreten Eigentums zulasten Einzelner.

Drei Merkmale unterscheiden die Enteignung von der ISB:

Sie ist konkret (ISB: abstrakt; 1), trifft den Betroffenen individuell (ISB: generell; 2) und entzieht ganz oder teilweise das Eigentum zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, d.h. zweckgerichtet/final (ISB: belässt das Eigentum dem Eigentümer).

 

sondern um eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.[18]

Jedes Grundstück ist in seine Umgebung eingefügt und durch seine Lage und Beschaffenheit charakterisiert. Die straßenrechtlichen Regelungen tragen der Situationsgebundenheit des Grundstücks im Interesse der Allgemeinheit und der Straßenanlieger Rechnung. Die Gestaltungsmöglichkeiten kann der Gesetzgeber im Hinblick auf den sozialen Bezug des Eigentums nutzen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die straßenrechtliche Privilegierung von Anpflanzungen auf öffentlichen Straßen und den dazu gehörenden Nebenanlagen von vernünftigen Gemeinwohlgedanken getragen wird. Die Bepflanzung von Straßen dient nicht nur straßenbautechnischen und verkehrsrechtlichen Interessen. Bepflanzungen mit Bäumen in Ballungsgebieten haben eine landschaftsgestaltende und eine die Wohnqualität verbessernde Funktion. Bäume schaffen eine ansprechende Atmosphäre und Lebensqualität, lockern den optischen Eindruck der Umgebung auf, beruhigen das Auge und verhelfen Anwohnern zum Luftholen und Durchatmen. Bepflanzungen spielen unbestreitbar eine wesentliche Rolle für das von Lärm und Abgasen geprägte Großstadtklima und die Verbesserung des Wohnumfelds. Da sich aus Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG ergibt, dass das Eigentum zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, schlägt sich darin das Gebot an die Kommune nieder, über die Interessen der unmittelbaren Straßenanlieger hinaus auch solche der nicht direkt angrenzenden Wohnbevölkerung wahrzunehmen. […] Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Erhalt von Straßenbäumen mit Blick auf den Klimawandel eine wichtige Rolle spielt. Denn Bäume binden beim Wachstum Kohlendioxid und können so dem Klimawandel entgegenwirken. Gleichzeitig dienen Bäume dem Hitzeschutz; durch ihre Beschattung können sie die Lufttemperatur senken und Oberflächen kühlen.“[19]

Die sich aus § 32 Abs. 3 S. 1 StrWG NRW ergebenden Beschränkungen der Eigentumsbefugnisse haben indessen nicht zur Folge, dass der Eigentümer eines Grundstücks jegliche Beeinträchtigungen oder Schäden durch Bepflanzungen im öffentlichen Straßenraum zu dulden hätte und lediglich auf Entschädigungsansprüche gegen die öffentliche Hand zu verweisen wäre.[20]

Hier könnte vielmehr ausnahmsweise die Pflicht zur Duldung der Einwirkungen der auf öffentlichem Straßengrund erfolgten Pflanzungen mit der Folge eines auf Beseitigung gerichteten Folgenbeseitigungsanspruchs infolge einer besonderen Ausnahmesituationen geendet sein. Solche liege etwa dann vor, „wenn die Bepflanzung im Laufe der Zeit aufgrund natürlichen Wuchses einen Umfang erreicht hat, der entweder zu ernsthaften, nicht anderweitig behebbaren Schäden an privaten Nachbargrundstücken führt bzw. solche Schäden hinreichend konkret zu befürchten sind oder aber die Nutzung dieser Grundstücke in einem unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mehr zumutbaren Maße beeinträchtigt wird.“[21]

Im Falle der K ist eine Ausnahmesituation nach obigen Maßstäben jedoch weder betreffend die Garagenauffahrt (aa.) noch betreffend die Hauseingangszuwegung (bb.) gegeben.[22]

aa. Ein FBA der K besteht im Gegenteil gerade nicht, da ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anhebung der Betonplatten auf ihrer Garagenauffahrt und Wurzeln der städtischen Platane nicht (mehr) nachweisbar ist. Zwar hatten frühere Gutachten und das Urteil des LG Mönchengladbach aus dem Jahr 2012 eine Mitverursachung durch Wurzeln angenommen. Das aktuell im Verfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen J vom Januar 2025 belegt jedoch eindeutig, dass an den entscheidenden Stellen keine Wurzeln mehr vorhanden sind und auch keine neuen nachgewachsen sind. Andere auf dem Grundstück der Klägerin gefundene Wurzeln liegen zu weit entfernt oder zu tief, um die festgestellten Anhebungen ursächlich mitverursacht zu haben. Der schlechte Zustand der Auffahrt beruht vielmehr überwiegend auf altersbedingtem Verschleiß und mangelhafter baulicher Ausführung. Die Einwände der Klägerin gegen das neue Gutachten sind unsubstantiiert und begründen keine Zweifel an dessen Verwertbarkeit. Eine ausnahmsweise Eingriffsqualität durch Wurzeleinwuchs ist daher nicht (mehr) gegeben.[23]

bb. Eine Ausnahmesituation im Sinne eines unzumutbaren Eigentumseingriffs ist auch im Hinblick auf die Zuwegung zum Hauseingang der K nicht gegeben.

Aktuelle Lichtbilder vom Ortstermin sowie Vergleichsaufnahmen aus den Jahren 2019 und 2011 zeigen keine relevanten Anhebungen oder Verwerfungen der Platten. Frühere Anhebungen im Bereich der zweiten und dritten Plattenreihe sind nicht mehr vorhanden. Zudem wurden im vorderen Bereich offenbar Platten ausgetauscht oder repariert, was auf eine zwischenzeitlich durchgeführte Entfernung ursprünglich vorhandener Wurzeln hindeutet. Auch von der K eingereichte Lichtbilder und ein Schreiben aus dem Jahr 2019 bestätigen dies. Der gegenwärtige Zustand lässt daher keine fortbestehende oder unzumutbare Beeinträchtigung erkennen, die eine Ausnahme rechtfertigen würde.[24]

Ein Anspruch der K auf Beseitigung der Wurzeln unter den Zuwegungen zur Garage und zur Hauseingangstüre besteht folglich nicht

II. Rückbau der Betonplatten

Mit Blick darauf, dass der Klägerin nach den obigen Feststellungen kein Anspruch auf die von ihr begehrte Entfernung von in ihre Zuwegungen einwachsenden Wurzeln zusteht, bleibt auch das mit ihrem Antrag verfolgte Begehren, die auf den Zuwegungen vorhandenen Betonplatten neu zu verlegen, ohne Erfolg“.[25]

Die allgemeine Leistungsklage der K ist somit zulässig, aber vollständig unbegründet. Sie hat demnach keinen Erfolg.[26]

Dogmatische Vertiefung

Das Staatshaftungsrecht stellt nur eine kleine Verzweigung des Öffentlichen Rechts dar. In der Realität sind jedoch Streitigkeiten wie die oben erörterte, namentlich von Bürgern bestrittene (gesetzliche) Duldungspflichten Alltag an den Verwaltungsgerichten. Die Gesamtheit staatshaftungsrechtlicher Anspruchsgrundlagen darzustellen, würde den Rahmen dieser Entscheidungsbesprechung sprengen; hier sei etwa auf das Bonner Skript zum Staatshaftungsrecht verwiesen.[27] Wir wollen im Folgenden nur einige wichtige und unabdingbare Systemzusammenhänge beleuchten, die u. E. dem Verständnis des Staatshaftungsrechts als Ganzem mehr als dienlich sind.

A. Historisch-dogmatische Einordnung

Zunächst ist es von Vorteil, sich mit dem oben mehrfach erwähnten Gewohnheitsrecht auseinanderzusetzen. Oder anders gefragt: Wer hat’s erfunden? Tipp: Es waren nicht die Schweizer. Vielmehr ist das richterrechtlich entwickelte Staatshaftungsrecht ein Kind seiner Zeit. Es entstammt Zeiten, in denen ein monarchischer Souverän seine Staatsgewalt von Gottes Gnaden ableitete („Dei Gratia Rex“). Entsprechend herrschte die Vorstellung, dass dieser gottgesandte Souverän als dessen verlängertes Sprachrohr unfehlbar sei und schlicht nicht rechtswidrig handeln könne. Es galt die Lehre von der Unrechtsunfähigkeit des Staates. Hingegen fehlbar waren Staatsdiener auch damals schon. Dies löste eine zivilrechtliche Haftung des Beamten gegenüber dem Bürger aus. „Diese ungewöhnlich erscheinende zivilrechtliche Beamtenhaftung beruhte auf dem Gedanken, dass dem Beamten vom Souverän nur ein Mandat zu rechtmäßigem Handeln übertragen wurde. Die Unrechtsunfähigkeit des Staates setzte sich also darin fort, dass der Beamte bei rechtswidrigem Handeln nicht innerhalb seines Mandats und deshalb gar nicht mehr für den Staat tätig wurde; er überschritt das Rechtsverhältnis zu seinem Dienstherrn und handelte auf eigene Rechnung, also als Privatmann. Deshalb musste er für Schädigungen von Bürgern nach den Grundsätzen des Zivilrechts haften. Von diesem Grundansatz geht das Staatshaftungsrecht noch heute aus: Der Grundtatbestand der Amtshaftung in § 839 BGB ist ein zivilrechtlicher Sondertatbestand des Deliktsrechts.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde allerdings das Bedürfnis für eine öffentlich-rechtliche Haftung des Staates für seine Bediensteten erkannt. Es erschien unbillig, bei staatlichen Tätigkeiten den jeweils Handelnden im Schadensfall zivilrechtlich haften zu lassen und den Staat, der die Handlung letztlich veranlasst hatte, von einer Haftung freizustellen. Deshalb wurde die Haftung des Beamten nach § 839 BGB von der Weimarer Reichsverfassung auf den Staat übergeleitet (Art. 131 WRV). Es blieb zwar im Grundsatz bei einer zivilrechtlichen Eigenhaftung des handelnden Beamten, diese traf durch die Überleitungsnorm aber mittelbar den Staat selbst. Daran hält das geltende Recht bis heute fest; die Haftungsüberleitung auf den Staat ordnet jetzt Art. 34 S. 1 GG an. So wurde aus einer den Staat privilegierenden Haftung des Beamten eine den Beamten privilegierende Haftung des Staates.“[28]

Die weiteren ungeschriebenen öffentlich-rechtlichen Ansprüche sind sodann Konsequenz der Unzulänglichkeiten dieser außergewöhnlichen Konstruktion einer verschuldensabhängigen, mit Staatsprivilegien (Haftungsausschlüsse) versehenen, zivilrechtlichen Beamtenhaftung. Ihre Existenz ist im Ergebnis jedenfalls gemeinhin anerkannt.

Hinweis: Herleitung der ungeschriebenen öffentlich-rechtlichen Ansprüche

  1. Aus dem Rechtsstaatsprinzip, 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG: Aus dem Prinzip der Recht- & Gesetzmäßigkeit der Verw. / Gesetzesvorrang folgt, dass rechtsw. Maßn. umgekehrt werden müssen;
  2. Aus einer allgemeinen Schutzwirkung der Grundrechte / der Abwehrfunktion der Freiheitsrechte: Abwarten auf einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff kann nicht zumutbar sein;
  3. Aus 1004 BGB analog: Hier verbirgt sich übrigens eine super Erinnerungsstütze, wenn ihr mal das „Schema“ vergessen solltet. Orientiert euch einfach am Wortlaut des (quasi-)negatorischen Anspruchs aus § 1004 BGB und übertragt die Tatbestandsmerkmale auf einen Eingriff durch einen Hoheitsträger. Dasselbe gilt in Hinblick auf den – ungeschriebenen – allgemeinen, öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch: Dieser entspricht seinerseits dogmatisch den §§ 812 ff. BGB (e. A.: „Analogie“).

 

B. Rechtsdogmatische Betrachtung des Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB

Diese dogmatischen Unzulänglichkeiten sind die Folgenden (nach Sauer, JuS 2012, 695):

  • 1. Der Grundtatbestand nach § 839 BGB bleibt ein zivilrechtliches Delikt des Beamten, sodass die Amtshaftung eine verschuldensabhängige Haftung ist. Es erscheint aber wenig überzeugend, eine Haftung des Staates nur dann zu begründen, wenn der jeweils handelnden Person ein individueller Schuldvorwurf gemacht werden kann.
  • 2. Der Staat kann bei einer übergeleiteten Haftung des Beamten nur das schulden, was ursprünglich der Beamte selbst nach § 839 BGB schuldete. Inhalt einer privatrechtlichen Haftung des Beamten kann das aber kein Hoheitsakt sein (z. B. die Rücknahme eines VA); das ist der Grund dafür, dass Naturalrestitution über die Amtshaftung abweichend von § 249 Abs. 1 BGB bis heute nicht begehrt werden kann, sondern nur Schadensersatz in Geld.
  • 3. Der Amtshaftungsanspruch in § 839 Abs. 1 S. 1 BGB stellt nicht auf rechtswidriges Handeln des Staates, sondern auf eine Amtspflichtverletzung ab. Für die Amtshaftung ist also das Innenverhältnis zwischen handelndem Beamten und Staat maßgeblich, während aus der Perspektive des Geschädigten eigentlich das Außenverhältnis zwischen Staat und Bürger betrachtet werden müsste. Dieser Widerspruch wird heute durch die Annahme einer allgemeinen Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln und zur Achtung der absoluten Rechte der Bürger überbrückt: Auf diesem Weg wird rechtswidriges Handeln zur Amtspflichtverletzung.
  • 4. Die die ursprünglich den handelnden Beamten schützenden Bestimmungen über Haftungsausschlüsse in § 839 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 BGB kommen heute sachwidrig dem Staat selbst zu Gute; sie werden in der Rechtsprechung deshalb zurückgedrängt.
  • 5. Schließlich ist eine Amtshaftung für legislatives und judikatives Handeln nach der Rechtsprechung ganz überwiegend ausgeschlossen.

Durch diese historisch bedingten Defizite befriedigt der deliktische Amtshaftungsanspruch bestimmte Haftungsbedürfnisse nicht. Deshalb sind daneben weitere Anspruchsgrundlagen richterrechtlich entwickelt worden, insbesondere der in unserer Entscheidung besprochene Folgenbeseitigungsanspruch und die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff.

C. Überblick über öffentl.-rechtliche Schadensersatz- / Entschädigungsansprüche

Schadensersatz Entschädigung
Geschädigter ist so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde (§§ 249 ff. BGB)

–          zB. entgangener Gewinn oder Schmerzensgeld (§ 253 BGB) ersatzfähig

Ausgleich eines Vermögensverlustes, der zB. aus dem Entzug / der Beeinträchtigung eines Rechts folgt.

–          Grds. auf den Verlustwert beschränkt

–          Ausn.: weiter (vgl. § 40 OBG; Aufopferung)

1.       § 280 Abs. 1 BGB (analog)

2.       § 839 Abs. 1 S. 1 BGB, Art. 34 S. 1 GG

3.       Unionsrechtlich gebotene Staatshaftung

4.       Gefährdungshaftung (u. a. § 7 Abs. 1 StVG)

1.       § 39 Abs. 1 lit. a / b OBG NRW (iVm. § 67 PolG)

2.       §§ 49 Abs. 6 S. 1, 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG

3.       Entschädigung wg. Enteignung / ISB

4.       Aufopferung / aufopferungsgleicher Eingriff

5.       Entschädigung wg. Eingriffen in Art. 14 GG

 

D. Der Anspruch gem. § 839 BGB iVm. Art. 34 S. 1 GG im Einzelnen

Hinsichtlich eines Anspruchs gem. § 839 BGB iVm. Art. 34 S. 1 GG bietet es sich zur besseren Prüfungsstrukturierung für einen ersten Aufschlag an, folgendes nachzuvollziehen:

Anspruchsvoraussetzungen[29] wenn nicht erfüllt, dann
„Hoheitliches Handeln“ Keine Staatshaftung
„Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht“ Entschädigungsansprüche bei rechtmäßigem Handeln (Sonderopferhaftung)
„Verschulden“ Verschuldensunabhängige Entschädigungsansprüche bei rechtswidrigem Handeln

 

#Aufbauschema Amtshaftungsanspruch, § 839 Abs. 1 S. 1 BGB iVm. Art. 34 S. 1 GG

  1. Handeln eines „Beamten“ „in Ausübung“ eines öffentlichen Amtes
    1. Beamte im statusrechtlichen Sinne bei öffentliche-rechtlichem Handeln
    2. Beamte im haftungsrechtlichen Sinne = sonstige Personen, die öffentlich-rechtlich handeln
      – Haftungserweiterung auf Beamte im haftungsrechtlichen Sinne durch 34 GG
  2. Verletzung einer „drittgerichteten“ Amtspflicht
    = Pflichten zum Wohle des einzelnen Verkehrsteilnehmers um diesen individuell vor Schaden zu bewahren: Grundsätzliche Eignung der Norm zum Schutze ind. Interessen und Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs in Hinblick auf den Anspruchsteller.
    1. Zurechenbarer Schaden (haftungsbegründende Kausalität)
    2. Verschulden (!)
    3. Kein Haftungsausschluss, 839 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Abs. 3 BGB
    4. Anspruchsgegner (befreiende Schuldübernahme kraft Gesetzes; idR. die Anstellungskörperschaft)
    5. Rechtsfolge: Schadensersatz gem. § 249 ff. BGB

 

Für ein besseres Systemverständnis, insbesondere in Hinblick auf die erörterten Unzulänglichkeiten des deliktischen Amtshaftungsanspruchs bietet es sich an, einen Vergleich mit einer weiteren, in der staatshaftungsrechtlichen Klausur unabdingbaren Anspruchsgrundlage vorzunehmen: § 39 OBG NRW.

Hinweis: § 39 OBG NRW VS. § 839 BGB, Art. 34 S.1 GG (1/2)

1. § 39 OBG setzt seinerseits kein (schwierig nachzuweisendes) Verschuldendes Beamten voraus.

§ 39 I Nr. 1b OBG ist verschuldensunabhängig.

2. § 39 OBG beinhaltet kein „Verweisungsprivileg“ wie jenes des § 839 Abs. 1 S.2 BGB: Wenn Ansprüche gegen Dritte bestehen, ist der Anspruch aus § 839 BGB per se ausgeschlossen.
39 OBGist einzig ausgeschlossen, wenn tatsächlich bereits Ersatz erlangt wurde (nicht nur ein abstrakter Anspruch besteht).

             – aus Sicht des Bürgers günstigere Ausschlussgründe in § 39 OBG

3. Über § 39 OBG kann in der Rechtsfolge jedoch KEIN Schmerzensgeld (keine immateriellen Schäden) geltend gemacht werden, nur reine Vermögensschäden;

Via § 839 BGB (Teil des „allgemeinen“ Deliktsrechts) ist dies iVm. § 253 BGB. möglich.

immaterielle Schäden nur mit Amtshaftung gem. § 839 BGB zu ersetzen!

 

Hinweis: § 39 OBG NRW VS. § 839 BGB, Art. 34 S.1 GG (2/2)

1. § 839 Abs. 3 BGB verbietet ein „Dulden und Liquidieren“: Gegen rechtswidrige Maßnahmen muss sich der Bürger zunächst überhaupt einmal zur Wehr setzen, idR. mittels einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO. Erst in einem zweiten Schritt kann er den – nicht geduldeten – Schaden liquidieren.

Allerdings findet der allgemeine staatshaftungsrechtliche Grundsatz „Kein Dulden und Liquidieren“ auch iRd. § 39 OBG Einschlag beim Mitverschulden iSd. § 40 Abs. 4 OBG: Ein Antrag iSd. § 80 Abs. 5 VwGO hätte einem Schaden (in der vollen Höhe) u. U. (gänzlich) vorgebeugt.

2. Streitig ist, ob sich § 839 BGB auf das Handlungs- oder Erfolgsunrecht bezieht: Überzeugend ist, dass

  • 839 BGB (verschuldensabhängig) Handlungsunrecht (des handelnden Beamten),
  • 39 OBG hingegen Erfolgsunrecht (vgl. ME-PolG, Grundsatz Effektivität der Gefahrenabwehr) voraussetzt.

3. § 39 OBG findet bei repressiven Maßnahmen der Polizei iRd. Strafverfolgung KEINE Anwendung.

 

Übrigens: Auch hinsichtlich aktueller Fragen bietet sich – etwa vor einer mündlichen Prüfung – ein wenig Recherche an. Fragen bzgl. Ersatzleistungen in der Corona-Pandemie oder Schadensersatzansprüche gegen öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften wegen Missbrauchstaten erfreuen sich bei zeitungsaffinen Praktikern durchaus einer gewissen Beliebtheit. Die Auseinandersetzung mit dem Staatshaftungsrecht lohnt sich also sowohl für Referendare wie auch für Studierende in Vorbereitung auf das erste Staatsexamen.[30]

[1] Zum ausführlichen Sachverhalt: OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264.

[2] FYI: „Plattierte Zuwegung“ meint einen Weg, der mit Platten (z.B. Betonplatten, Pflastersteine) befestigt wurde, um eine dauerhafte und leicht begehbare Zufahrt zu schaffen. Dieser Weg kann Bereiche erschließen.

[3] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 1-3.

[4] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 4-6.

[5] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 8.

[6] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 9.

[7] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 10.

[8] Zur genauen Begründung: OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 13-17.

[9] FYI: Der Senat entscheidet über die Berufung der Kl. nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung – auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes der K v. 28.1.2025 – nicht für erforderlich hält (vgl. § 130 a VwGO).

[10] Zum ausführlichen Sachverhalt: OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264.

[11] FYI: Dies war auch im Jahre 2012 die einschlägige Anspruchsgrundlage vor dem LG Mönchengladbach.

[12] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 26.

[13] Das OVG NRW nimmt eine weitere Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute nicht vor, da der Verwaltungsrechtsweg jedenfalls sowohl für den AUA wie für den FBA eröffnet ist; eine genauere (dogmatisch wünschenswerte) Differenzierung ist – vom Ergebnis gedacht – entbehrlich.

[14] FYI: Bei Immissionen (Kirchengeläut, Kinderspielplatzlärm etc.) hängt die Auswahl der Anspruchsgrundlage vom Sachzusammenhang ab, in dem die Immissionen des Hoheitsträgers stehen. Stehen sie im Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit oder Aufgabe (etwa Daseinsvorsorge durch öffentliche Einrichtungen iSd. § 8 Abs. 1 GO NRW), sind auch die hierdurch verursachten Immissionen  vor dem Verwaltungsgericht abzuwehren. Bekanntheit erlangte die Differenzierung von dem Glockenläuten von Kirchen als öffentlich-rechtlichen Körperschaften: Wenngleich die Glocken öffentliche Sachen im Kirchengebrauch (res sacrae) darstellen, sind nicht sämtliche von ihnen verursachten Immissionen öffentlich-rechtlicher Natur. Nach der Rspr. gilt das vielmehr nur für das Sakralgeläut, z.B. zum Gottesdienst. Das nicht-sakrale Profangeläut (Zeitschlagen) ist hingegen nicht Ausdruck des besonderen kirchlichen Widmungszwecks und damit bloße Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen (BVerwG, NJW 1994, 956). Auf den Sachzusammenhang ist zudem bei Äußerungen von Hoheitsträgern abzustellen.

[15] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 37 ff., 58 ff.

[16] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 29.

[17] FYI: Hier befindet sich idR. der Klausurschwerpunkt!

[18] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 30.

[19] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 31, 32.

[20] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 35; das OVG betont, dass das auch im öffentlichen Rechtsverhältnis geltende Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB und ein Beseitigungsanspruch (nach § 1004 Abs. 1 BGB) gleichrangig nebeneinander bestehen, sodass für den AUA/FBA nichts anderes gilt (vgl. Rn. 33, 36).

[21] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 34.

[22] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 37 ff., 58 ff. (das Gericht urteilt auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme).

[23] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 37-55.

FYI: Es bliebe der Klägerin indessen unbenommen, nach vorheriger Anzeige bei der Beklagten und Verlängerung der mit Befreiungsbescheid v. 3.4.2024 erteilten Frist zur Kappung der Wurzeln etwa im Rahmen einer Erneuerung ihrer Garagenauffahrt von ihrem Selbsthilferecht nach § 32 Abs. 3 S. 2 StrWG NRW Gebrauch zu machen (Rn. 57).

[24] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 58-62.

[25] OVG NRW, Beschl. v. 17.2.2025 – 11 A 827/22, BeckRS 2025, 2264, Rn. 63.

[26] FYI: Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

[27] https://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Koenig/Staatshaftungsrecht/Staatshaftungsrecht_WS_2024_25.pdf.

[28] Sauer, JuS 2012, 695.

[29] Vgl. Bonner Skript, https://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Koenig/Staatshaftungsrecht/Staatshaftungsrecht_WS_2024_25.pdf.

[30] Verfasser:        Christian Lederer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann

Supervision:        Dr. Lennart Brüggemann, Rechtsanwalt & Partner bei HLB Schumacher Hallermann

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