Entscheidung des Monats Oktober 2024
Strafrecht - "Von irrenden Ärzten und irren Schmerzen "
Hinweis vom HLB-Team: Höchstens zwei von fünf Richtern kennen im strafrechtlichen Revisionsverfahren die Akte, wenn sie durch Beschluss entscheiden (Quelle: Thomas Fischer, „Revisionspraxis beim BGH“ 2014, LTO). Ein Klausurbearbeiter kann sich in der strafrechtlichen Examensklausur hingegen auf einen prallgefüllten Sachverhalt mit ausreichend Detaileinsicht freuen. Insbesondere, wenn der Sachverhalt mit vielen Einzelheiten das Vorstellungsbild des Täters diskutiert, sind höchste Alarmglocken angesagt. Denn dann sind die Punkte regelmäßig im Allgemeinen Teil des Strafrechts zu sammeln. Irrtümer bei der Tatausführung können in diesem Kontext nicht nur für den Täter selbst über Sieg oder Niederlage vor Gericht entscheiden, sondern bedeuten gerade auch für die Studierenden am Examenspult eine Chance, den Korrektoren ein Lächeln zu entlocken.
Einen derart geeigneten Fall für die Examenspraxis hatte der Bundesgerichtshof (BGH) erst im Frühling dieses Jahres zu entscheiden (Beschluss v. 17.04.2024, 1 StR 403/23). Ein Chirurg verwechselte den Patienten (= error in persona) und „raubte“ infolgedessen dem falschen Patienten (wenigstens einstweilig) die Fruchtbarkeit kraft Sterilisation. Ein Horrorszenario, welches der Arzt unmittelbar im Nachhinein der Operation versuchte, mittels Verweisung des verletzten Patienten zu einem Spezialisten für eine noch mögliche Refertilisation umzukehren. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand somit, neben einer Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung, die Frage, ob sich der Arzt einer versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung gem. §§ 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat, oder gar vielmehr – vorausgesetzt der grundsätzlichen Möglichkeit eines Rücktritts gem. § 24 Abs. 1 StGB nach erkanntem error in persona im Stadium des beendeten Versuchs – strafbefreiend von einer solchen zurückgetreten ist.
„Gefundenes Fressen“ also für die Prüfungsämter: Der Fall bietet im Rahmen einer „einfacher gelagerten BT-Problematik“ die Abfrage von Standardproblemen wie einer zivilrechtlichen Einwilligung, des sog. ärztlichen Heilangriffs, der Irrtumssystematik im Strafrecht sowie die Möglichkeit der Kombination mit beliebigen weiteren Klassikern wie dem Themenbereich der Rücktrittsprüfung oder einem Erlaubnistatbestandsirrtum (ETBI). Im dogmatischen Vertiefungsteil widmen wir uns daher dem error in persona (vel obiecto) und dem Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts. Für weitere Vertiefungen im Strafrecht AT sei auf die Entscheidungen des Monats April 2023 (Vorsatztheorien) Juli 2023 (ETBI) und Februar2024 (Unmittelbares Ansetzen) verwiesen. Viel Spaß bei der Lektüre!
Die Hintergründe der Entscheidung
Anfang dieses Jahres hatte der BGH[1] über die Revision eines angeklagten Facharztes für Allgemeinchirurgie zu entscheiden, den das LG München II wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung verurteilt hatte. Weit entfernt von lege artis vollzog sich dessen chirugischer Eingriff im März 2016. Im Rahmen einer infolge eines Leistenbruchs medizinisch ausreichend indizierten Operation führte der angeklagte Chirurg irrtümlich gleichzeitig eine Sterilisation bei dem 17-jährigen und betreuten P durch. Diese Sterilisation sollte eigentlich bei einem weiteren Patienten, dem ebenso unter Betreuung stehenden G, vollzogen werden.
Unmittelbar nach der Operation erkannte der Angeklagte seinen Irrtum. Am selben Tag informierte er die Mutter des P über die Verwechslung und organisierte am Folgetag eine Überweisung an einen Spezialisten für Refertilisation (= Rückgängigmachen der Sterilisation). Dieser Spezialist führte zwei Wochen später einen Eingriff durch, bei dem die Zeugungsfähigkeit von P – nicht ausschließbar – wiederhergestellt werden konnte.
Die Entscheidung
Revisionsrechtlich in Frage stand die Strafbarkeit des Angeklagten („A“) bezüglich des Eingriffs zulasten des P. Das Landgericht ist hier von einem Versuch der schweren Körperverletzung gem. § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB zulasten P ausgegangen, da die schwere Folge – hier der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit – bei dem Geschädigten P nicht ausschließbar nicht eingetreten sei. Insbesondere sei der Angeklagte von dem beendeten Versuch der absichtlichen schweren Körperverletzung nicht strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten.[2]
Bei der gutachterlichen Prüfung ist – wie bei Klausuren im Allgemeinen Teil des Strafrechts üblich – auf Prüfungsebene feinsäuberlich zwischen den zu prüfenden Tatbeständen und -komplexen zu differenzieren.
A. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB
A könnte sich nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er an P die OP durchführte.
I. Dafür müsste er zunächst sowohl objektiv („1.“) als auch subjektiv („2.“) tatbestandsmäßig gehandelt haben.
1. Notwendige Voraussetzung hierfür ist eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung.
#Definition: § 223 StGB
Eine körperliche Misshandlung stellt jede üble, unangemessene Behandlung dar, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Eine Gesundheitsschädigung ist im Hervorrufen oder Verstärken eines pathologischen Zustandes zu sehen. |
Die Operation in der Leistengegend des P greift unter gewissem Krafteinsatz in die körperliche Integrität des S ein; die Wundheilung bedarf zudem einer gewissen Zeitdauer und stellt somit eine negative Abweichung vom Normalzustand dar. Damit sind sowohl Gesundheitsschädigung als auch eine körperliche Misshandlung grundsätzlich gegeben.
Fraglich ist, wie dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass der A hier den Eingriff am P aus beruflichem Anlass im Rahmen einer der Heilung dienenden Operation vornahm.[3]
#Definition: § 223 StGB
Ein ärztlicher Heileingriff ist eine in die Körperintegrität eingreifende Behandlung, die vorgenommen wird, um Krankheiten, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern. |
a.Tatbestandslösung (Lit.)
Zugunsten eines angeklagten Arztes wird erwogen, den Tatbestand des § 223 StGB tätergünstig teleologisch zu reduzieren.[4] So sei der ärztliche Heileingriff, der lege artis durchgeführt wurde, aus dem Tatbestand der Körperverletzung auszunehmen. Teilweise werden einige Binnendifferenzierungen danach vorgenommen, nur gelungene oder gefahrverringernde Behandlungen als nicht tatbestandsmäßig zu akzeptieren. Typischerweise wird ins Feld geführt, es könne nicht angehen, jedwede Art von ärztlicher Heilbehandlung ohne Berücksichtigung der Folgen unter den Körperverletzungstatbestand zu fassen, da dies einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG bedeute. Darüber hinaus sei der soziale Sinngehalt einer Handlung zu beachten, der bei einem Heileingriff gerade nicht dem einer Körperverletzung entspreche. Zu guter Letzt müssten auch die Interessen des Patienten bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit beachtet werden.
Würde man dieser Ansicht folgen, wäre lediglich die Sterilisation des P tatbestandsmäßig, nicht jedoch die Behebung des Leistenbruchs.
b. Einwilligungslösung (Rspr.)
Dagegen wollen andere dem ärztlichen Heileingriff keine Sonderbehandlung zuteilwerden lassen. Dieser Ansicht nach sei der äußere Tatbestand des § 223 StGB auch bei dem lege artis handelnden Arzt erfüllt. Erst im Rahmen einer möglichen Rechtfertigung auf Grund einer Einwilligung würde man u.U. zur Straffreiheit des Mediziners kommen. Dafür spricht, dass die Tatbestandslösung die Körperverletzungsdelikte zu Freiheitsdelikten umfunktionieren würde, indem sie auf objektiver Tatbestandsebene die Interessen des Patienten berücksichtigt. Für diese existieren bereits eigenständige Strafvorschriften wie die §§ 238–240 StGB. Darüber hinaus läuft auch eine Reihe anderer Berufsgruppen Gefahr, durch ihre berufstypischen Handlungen tatbestandsmäßig zu handeln. Für diese wird jedoch von keiner Seite eine Einschränkung des gefordert.
c. Stellungnahme
Im Wortlaut des § 223 StGB ist keine Differenzierung nach der Motivation des Täters oder Opfers vorgesehen, ebenso wenig lässt die Abschnittsüberschrift auf eine solche schließen. Zudem hatte der Gesetzgeber Reformgedanken verworfen, welche den ärztlichen Heileingriff privilegieren sollten. Der Gesetzgebers tendiert somit – wie nicht zuletzt § 630d BGB verdeutlicht, welcher den Arzt zur Einholung einer Einwilligung des Patienten verpflichtet – dazu, eine Tatbestandslösung abzulehnen. Zudem lässt die Einwilligungslösung systematisch einen größeren Spielraum hinsichtlich der Bewertung des ärztlichen Heileingriffs zu. Die Tatbestandslösung muss diese hingegen über dogmatisch gekünstelte Ausnahme von ihrer Konzeption suchen. Der Einwilligungslösung ist der Vorzug zu gewähren.
A hat demnach sowohl durch die Behebung des Leistenbruchs als auch durch die Sterilisation das körperliche Wohlbefinden des P nicht nur unerheblich beeinträchtigt.
2. A müsste auch vorsätzlich gehandelt haben, § 15 StGB. Hieran könnten Zweifel bestehen, da A davon ausging, statt des P den G zu operieren.
Hinweis: Vorsatz, §§ 15, 16 StGB
Gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt ohne Vorsatz, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Relevanter zeitlicher Anknüpfungspunkt für das Vorliegen der Vorsatzvoraussetzungen (nach h.M.: „Wissen und Wollen“) ist der Zeitpunkt der Tatbegehung (vgl. § 8 StGB). |
Der gesetzliche Tatbestand des § 223 StGB fordert einzig die Verletzung (irgend-)eines anderen Menschen. Auf die konkrete Identität des Opfers kommt es nicht an. Daher genügt für die Bejahung des Tatbestandsvorsatzes das Bewusstsein, irgendeinen Menschen zu verletzen. Die Verwechslung der Identität stellt einen (auch im Strafrecht) lediglich unbeachtlichen Motivirrtum dar; A handelte mithin bezogen auf den Tatbestand vorsätzlich.[5]
II. Rechtswidrigkeit
A müsste auch rechtswidrig gehandelt haben.
- Hinsichtlich der Leistenbruch-OP lag eine wirksame Einwilligung der Mutter des P als dessen gesetzlicher Vertreter (§§ 1626, 1629 ff. BGB) vor, sodass insoweit die Rechtswidrigkeit entfällt.
- Hinsichtlich der Sterilisation fehlt bereits eine entsprechende Einwilligung[6] sodass A diesbezüglich rechtswidrig handelte.
III. Hypothetische Rechtfertigungslage[7]
Fraglich ist jedoch, ob A hinsichtlich der Sterilisation irrig Umstände angenommen hat, bei deren wirklichen Vorliegen die Tat gerechtfertigt wäre, sodass ein Erlaubnistatbestandsirrtum (ETBI) vorliegen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, da A glaubte, G zu operieren, von dem er wusste, dass keine wirksame Einwilligung vorlag, da an eine solche hohe Anforderungen zu stellen sind (§§ 1817 Abs. 2, 1830 BGB). A stellte sich somit auch nicht irrig rechtfertigende Umstände vor.
IV. Schuld
A handelte auch schuldhaft. Er hat sich durch die Sterilisation des P wegen vorsätzlicher Körperverletzung gem. § 223 I StGB strafbar gemacht.
Schwerpunkt der Entscheidung[8] lag nun auf der Versuchsprüfung iRd. § 226 StGB.
B. §§ 226 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs. 1 StGB
Indem der A den P anlässlich der Operation sterilisiert hat, könnte er sich zudem wegen des Versuchs der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 226 Abs. 1 Nr. 1, Alt.4, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
I. Vorprüfung
- Bei § 226 Abs. 2 StGB handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation, deren Versuch nach den allgemeinen Regeln der §§ 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar ist.
- Eine Strafbarkeit aus vollendetem Delikt dürfte nicht einschlägig sein.
„Die in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten schweren Folgen müssen von längerer Dauer sein. Diese ,Langwierigkeit‘ der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs; fehlt es hieran, ist der Tatbestand nicht vollendet. ,Längere Dauer‘ ist dabei nicht mit Unheilbarkeit gleichzusetzen. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des – länger währenden – krankhaften Zustands nicht abgesehen werden kann. Andererseits kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Für die Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend.“[9]
Da die Zeugungsfähigkeit des P durch die kurzfristig nachfolgende Operation wieder hergestellt werden konnte, fehlt es an dem Eintritt der schweren Folge, sodass die Tat nicht vollendet ist und eine Strafbarkeit aus Vollendung ausscheidet.
II. Tatentschluss
#Definition: § 22 StGB
Der Tatentschluss umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz und die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale. Er muss endgültig und unbedingt gefasst sein (in Abgrenzung zur bloßen Tatgeneigtheit). Bei erfolgsqualifizierten Delikten ist – im Gegensatz zu Fahrlässigkeitsdelikten – wegen § 11 Abs. 2 StGB ein Versuch möglich. |
III. Unmittelbares Ansetzen
#Definition: § 22 StGB
Gemäß § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung der Tat (subjektives Element!) zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (objektives Element). Ein unmittelbares Ansetzen ist demnach gegeben, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten hat, und sein Verhalten objektiv so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft ist, dass bei ungestörtem Fortgang des Geschehens ohne wesentliche Zwischenakte mit der Tatbestandsverwirklichung zu rechnen ist (Kombinationstheorie des BGH). Bloße Vorbereitungshandlung ist demgegenüber, was die Ausführung der (für einen späteren Zeitpunkt geplanten) Tat nur ermöglichen oder erleichtern soll. |
A hatte mit dem Beginn der Operation, spätestens aber mit dem Durchtrennen der Samenleiter des P alles für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche unternommen und somit unmittelbar zu Tat angesetzt.[10]
Hinweis: § 22 StGB
Unproblematisch zu bejahen ist ein unmittelbares Ansetzen immer dann, wenn der Täter – wie hier – bereits einen Teil des objektiven Tatbestands verwirklicht hat. Ist dies nicht der Fall, so gehen die Meinungen auseinander. Ein Versuch liegt nach der [THEORIE] vor, wenn…: Zwischenaktstheorie: …zwischen der Handlung des Täters und der Tatbestandsverwirklichung kein weiterer wesentlicher Zwischenschritt mehr liegt. Gefährdungstheorie: …der Täter Handlungen vornimmt, die nach seinen Vorstellungen das geschützte Rechtsgut bereits konkret gefährden, bzw. die Gefahr des Erfolgseintritts schaffen. Sphärentheorie: …der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen ist und zwischen der Tathandlung und dem angestrebten Erfolgseintritt ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Jetzt-Geht’s-Los-Formel: Ein Versuch ist gegeben, wenn der Täter die Schwelle zum „jetzt geht es los“ bezüglich der Tatbestandsverwirklichung überschreitet. |
IV. A handelte auch rechtswidrig und schuldhaft (s.o.).
V. Rücktritt
Hinweis: § 24 StGB
Wer Versuch sagt, muss auch Rücktritt sagen! Schaut während der Reinschrift der Klausur stets ins Gesetz und nicht nur auf die Skizze, dann fällt der § 24 StGB auch nicht „hinten runter“. |
A könnte jedoch durch die Offenlegung seines Irrtums und die Vermittlung des P an einen Spezialisten für Refertilisation von der versuchten schweren Körperverletzung strafbefreiend nach § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten sein.
- Kein fehlgeschlagener Versuch[11]
Ein strafbefreiender Rücktritt ist nur möglich, soweit der Versuch nicht fehlgeschlagen ist.
#Definition: § 22 StGB
Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. |
Hier könnte der A die Vollendung der Tat weiterhin für möglich gehalten haben, insoweit unter „Tat“ iSd. § 24 Abs. 1 StGB nicht die Sterilisation des Patienten, sondern gar vielmehr – allgemeiner – die Verursachung der Zeugungsunfähigkeit einer Person gemeint ist.
Der BGH führt hierzu aus, dass der Rücktritt gem. § 24 Abs. 1 StGB mit Blick auf eben den Begriff der „Tat“ iSd. § 24 Abs. 1 StGB nur ein Abstandnehmen von bzw. eine Verhinderung der Vollendung dieses gesetzlichen Tatbestands (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4, Abs. 2 StGB) voraussetzt. „Die vorherige Erreichung außertatbestandlicher Ziele ist unschädlich. Dies gilt auch in den Fällen eines ,sinnlos gewordenen Tatplans‘“.[12]
Die Verursachung der Zeugungsunfähigkeit einer Person, wie sie der Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4, Abs. 2 StGB verlangt, war gerade nicht fehlgeschlagen, da sie, bei gewöhnlichem Lauf der Dinge, noch (endgültig) eingetreten wäre.
Dies wahrt zudem den Opferschutz, ratio des § 24 StGB: Für den Täter wird ein Anreiz geschaffen wird, die Tatvollendung nach Bemerken des „error in persona“ aktiv zu verhindern.[13]
Jene (z.T. gewichtige[14]) Literaturstimmen, die im Falle des Bemerkens eines „error in personas“ durch den Täter stets einen Fehlschlag annehmen, würden nach Ansicht des BGH den Tatbegriff des § 24 StGB verkennen.[15]
- Unbeendeter/Beendeter Versuch[16]
Die notwendige Rücktrittshandlung, welche dem Täter iRd. § 24 Abs. 1 StGB den Weg über die goldene Brücke hin zur Strafbefreiung schlagen kann, bestimmt sich je nachdem, ob ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorliegt.
Hinweis: Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch, § 24 StGB
Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten Versuch, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreien den Rücktritt vom Versuch führt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1) und einem beendeten Versuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch die Vollendung durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2), ist das Vorstellungsbild des Täters (Lehre vom Rücktrittshorizont) unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Die früher von der Rspr. vertretene Tatplantheorie stellte die Tätervorstellung bei Tatbeginn (sog. Planungshorizont) in den Mittelpunkt der Erwägungen. Der Versuch ist demnach beendet, wenn der Täter von vornherein seinen Tatplan auf bestimmte Handlungen reduziert hat und der Erfolg durch eben diese Handlungen nicht mehr erreichbar ist.[17] |
Vorliegend ging A davon aus, mit dem Durchtrennen der Samenleiter des P bereits alles Erforderliche getan zu haben, um dessen Zeugungsunfähigkeit herbeizuführen, sodass ein beendeter Versuch vorliegt. „Eine Rücktrittsperspektive ergab sich für [A…] mit Erkennen des ,error in persona‘, weil hierdurch die erfolgte Sterilisation nachträglich unerwünscht wurde und [A] nun erstmals vor der Entscheidung stand, eine (dauerhafte) Zeugungsunfähigkeit des P durch aktive Gegenmaßnahmen zu verhindern bzw. sich hierum ernsthaft zu bemühen oder den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen“.[18]
- Verhinderung der Vollendung[19]
A verhinderte die Vollendung des Delikts (nicht ausschließbar nicht, s.o.), indem er die Tat gegenüber der Mutter des P offenlegte und damit und mit der Anrufung eines Spezialisten eine neue Kausalkette in Gang setzte, an deren Ende eine (mögliche) Heilung des P stand.[20] Die Rettungsmaßnahme war auch die im Einzelfall „optimale“.
- Freiwilligkeit[21]
Der Rücktritt setzt zuletzt ein freiwilliges Handeln voraus. Dagegen könnte sprechen, dass sich der Tatplan des A auf den Patienten G bezog und er die Bemühungen entfaltet hat, als er erkannt hat, dass er einem „error in persona“ unterlag.
#Definition, § 24 StGB
Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des Täters entspringt, der Täter also „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht infrage. Anders kann es sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. |
Der BGH stellt sodann entscheidungserheblich fest, dass für die Bewertung der Freiwilligkeit der bei Beginn der Tat bestehende Tatplan gerade nicht maßgeblich ist. Es gilt nicht die Tatplanperspektive, sondern der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung.[22]
A ist somit strafbefreiend von dem Versuch der absichtlichen schweren Körperverletzung zurückgetreten. Er hat sich nur wegen vorsätzlicher Körperverletzung strafbar gemacht.
Hinweis: Begrifflichkeiten in der
Zum guten Schluss dieser Versuchsprüfung seien der Vollständigkeit halber noch Begrifflichkeiten erläutert, die im Kontext der Versuchsdogmatik sitzen sollten: – Von einem untauglichen Versuch wird gesprochen, wenn die Ausführung des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des Täters jedenfalls aus tatsächlichen Gründen nicht zur Verwirklichung des Unrechtstatbestandes führen kann. Der Täter stellt sich also eine Sachlage vor, bei deren wirklichen Vorliegen sein Handeln den gesetzlichen Tatbestand erfüllen würde (auch: umgekehrter Tatbestandsirrtum). Der Täter irrt hier in tatsächlicher Hinsicht bezüglich eines untauglichen Tatobjekts, Tatmittels, oder als untaugliches Tatsubjekt. – Es ist zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt zu differenzieren: Hier glaubt der Täter irrig infolge einer Verkennung der jeweils einschlägigen Strafrechtsregeln, er sei strafbar, obgleich sein tatsächlich richtig erkanntes Verhalten tatsächlich nicht kriminalisiert ist. Im Gegensatz zum untauglichen Versuch führt eine ebenso irrige Vorstellung zu einer tatsächlichen Straflosigkeit (umgekehrter Verbotsirrtum). – Straflos mangels Tatentschluss sind hingegen irreale oder abergläubische Versuche, bei welchem der Täter mit irrealen Mitteln (z.B. Voodoo-Puppen, Teufelsgebete o.Ä.) einen strafrechtlich relevanten Erfolg herbeiführen möchte. In diesen Fällen stellt sich der Täter schon kein strafbares Verhalten vor, so dass nach herrschender Meinung der Rechtsfrieden nicht nachhaltig erschüttert wird. |
Dogmatische Vertiefung
Das erfolgsqualifizierte Delikt – hier in Gestalt des § 226 StGB – ist für die juristische Examensprüfung besonders interessant. Kombiniert mit Irrtumsfragen gilt dies umso mehr. In Versuchskonstellationen reizt das erfolgsqualifizierte Delikt umso mehr, als da in dem ein oder anderen Studi-Kopf allem voran begriffliche Verwirrung herrscht: Zu unterscheiden sind der Versuch der Erfolgsqualifikation und der erfolgsqualifizierte Versuch. Im Rahmen des erfolgsqualifizierten Versuchs besteht darüber hinaus ein spezielles Rücktrittsproblem.
Obige Entscheidung im Hinterkopf halten wir zunächst folgende Erkenntnisse fest:
1) Grundlegend: Wer im Sachverhalt über die innere Vorstellungswelt des Täters belehrt wird, der denke an Vorsatz, Zurechnung und Versuch. Wer sodann den Versuch prüft, der sei gut damit beraten, im Anschluss präzise den Rücktritt zu prüfen.
2) Ein „error in persona“ hat nach Ansicht des BGH (jedenfalls beim beendeten Versuch) nicht den Fehlschlag des Versuchs zur Folge, wenn der Täter seine Verwechslung erst nach Vornahme der Tathandlung bemerkt und sich nunmehr erfolgreich um die Rettung seines Opfers bemüht.[23]
3) Wenn erfolgsqualifiziertes Delikt und mangelnde Vollendungsstrafbarkeit zusammenkommen, dann gilt es Ruhe zu bewahren und sich an folgende Grundpfeiler zu erinnern:
A. Versuch der Erfolgsqualifikation
Beim sog. Versuch der Erfolgsqualifikation handelt der Täter bei der Tat zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) in Bezug auf die schwere Folge.[24] Aus einem Umkehrschluss aus § 11 Abs. 2 StGB[25] folgt, dass auch vorsätzliches Handeln hinsichtlich der Herbeiführung der schweren Folge möglich ist. Der Gesetzgeber bestimmt mit § 11 Abs. 2 StGB, dass die Erfolgsqualifikation insgesamt als Vorsatzdelikt gilt, wodurch ein Versuch in diesem Fall ohne Weiteres möglich ist.[26]
Hinweis: Konkurrenzen bei § 227 StGB und § 212 StGB beachten
Nota bene: Begeht der Täter eine Körperverletzung und handelt mit bedingtem Vorsatz bezüglich des Todeseintritts des Opfers, liegt grundsätzlich ein Versuch gemäß § 227 StGB vor. Da dieser jedoch eindeutig hinter §§ 212; 22; 23 Abs. 1 StGB zurücktritt, empfiehlt es sich, von einer eigenständigen Prüfung abzusehen. |
B. Erfolgsqualifizierter Versuch
Ein erfolgsqualifizierter Versuch liegt vor, wenn das Grunddelikt zwar nur versucht wird, aber die besondere schwere Folge dennoch eintritt.[27]
Ob in einem solchen Fall ein strafbarer erfolgsqualifizierter Versuch möglich ist, hängt laut h.M. von der Struktur der jeweiligen Erfolgsqualifikation ab. Dabei wird unterschieden zwischen Erfolgsqualifikationen, die an den Erfolgseintritt des Grunddelikts anknüpfen (wodurch ein erfolgsqualifizierter Versuch ausgeschlossen ist), und solchen, bei denen das Risiko des Grunddelikts im Vordergrund steht (was einen erfolgsqualifizierten Versuch ermöglicht).[28]
Besonders umstritten ist, ob § 227 sich auf die Erfolgsgefahr (sog. Letalitätslehre) oder auf die Handlungsgefahr (h.M.) des Grunddelikts bezieht (dazu: Klassiker-Entscheidung „Gubener Hetzjagd“). Nach h.M. ist ein Versuch gemäß § 227 in Form des erfolgsqualifizierten Versuchs möglich; die Letalitätslehre lehnt diese Möglichkeit hingegen ab. Ein spezielles Problem besteht in der Frage, ob der erfolgsqualifizierte Versuch strafbar bleibt, wenn der Versuch des Grunddelikts für sich genommen nicht strafbar ist; ein Teil der Literatur verneint die selbständige Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs in solchen Fällen.
C. Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch
Wenn der Täter den qualifizierten Erfolg bereits bewirkt hat, ist umstritten, ob er noch von dem Versuch des Grunddelikts sowie dem erfolgsqualifizierten Versuch zurücktreten kann.[29]
Eine Ansicht argumentiert, dass bei Eintritt der tatbestandsspezifischen Gefahr im schweren Erfolg eine Bestrafung nach der Qualifikationsnorm zwingend erforderlich ist. Danach wäre ein strafbefreiender Rücktritt nicht möglich, weil der qualifizierte Erfolg mit der Verwirklichung des Tatbestands und dem Eintritt der schweren Folge bereits abgeschlossen ist, was eine Rücktrittsmöglichkeit logisch ausschließt.
Die h.M. hält jedoch einen Rücktritt vom Versuch der Erfolgsqualifikation auch dann für möglich, wenn die schwere Folge bereits eingetreten ist. Nach § 24 StGB genüge es, wenn der Täter die weitere Ausführung „der Tat“ (!) aufgibt. Der Tatbegriff des § 24 StGB aber beziehe sich ausschließlich auf das Grunddelikt. Der Eintritt der schweren Folge führe mithin nicht dazu, dass das Grunddelikt und der qualifizierende Erfolg zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen, die einen Rücktritt unmöglich machen würde. Diesem Verständnis zufolge solle der Täter bei strafverschärfenden Umständen nicht schlechter gestellt werden als bei strafbegründenden Umständen. Dies käme ebenso dem Opferschutz zugute.[30]
D. Teilnahme bei erfolgsqualifizierten Delikten
Nach § 11 Abs. 2 StGB wird ein erfolgsqualifiziertes Delikt wie ein Vorsatzdelikt behandelt, was die Möglichkeit der Teilnahme daran einschließt. Hinsichtlich des Teilnehmers ist eine persönliche Zurechnung der schwerwiegenden Folge gem. den §§ 18, 29 StGB erforderlich.
Für den Teilnahmevorsatz bei einem erfolgsqualifizierten Delikt ist es notwendig, dass sich der Vorsatz nicht nur auf die Verwirklichung des Grunddelikts an sich erstreckt, sondern auch die Handlung umfasst, die die schwerwiegende Folge verursacht hat. Ein vorsätzliches Handeln bezüglich der schweren Folge selbst ist jedoch nicht erforderlich. Diese muss lediglich von einem subjektiv sorgfaltswidrigen Verhalten erfasst sein, sodass es irrelevant ist, wenn die Folge nicht beabsichtigt, aber vom Tatvorsatz zumindest bedingt mitumfasst war.
In diesem Sinne wünscht euch euer HLB-Team: Viel Erfolg bei der Qualifikation zum Volljuristen; im Versuchsstadium wird euer Vorhaben mit Sicherheit nicht stecken bleiben![31]
[1] Zum Sachverhalt im Ganzen: BGH, Beschl. v. 17.04.2024, 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222.
[2] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222 Rn. 4.
[3] FYI: Dieser klassische Streit sollte von Prüflingen bei der Beteiligung eines Arztes am Geschehen nicht übersehen werden; gleichwohl muss er nicht in der obigen Tiefe ausgeführt werden. Dies dient hier nur zu Wiederholungszwecken.
[4] Stellvertretend für einige: Kühl in Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 223 Rn. 8.
[5] FYI: Anders lägen die Dinge, wenn der A kurz bei Beginn der Operation (§ 8) davon ausgegangen wäre, in dem Corpus des P handele es sich „nur“ um einen Leichnam z.B. im Rahmen eines medizinischen Präparierkurses. In einem solchen Fall hätte der A vielmehr den gesetzlichen Tatbestand des § 303 verwirklichen wollen; bzgl. § 223 würde folglich § 16 Abs. 1 S. 1 greifen. Es würde sich in diesem Rahmen die Frage anschließen, ob ein Leichnam eine eigentumsfähige Sache im strafrechtlichen Sinne (!) ist. Dies wird grds. nur bei Leichen, die zu Anatomiezwecken bestimmt sind und solchen die reliktischen Wert haben (Mumien etc.) bejaht. Ansonsten verneint die h.M. die Eigentumsfähigkeit der Leiche als stets herrenloser Sache und entzieht sie damit schlechterdings dem Rechtsverkehr.
[6] FYI: Lies § 1631c BGB „Verbot der Sterilisation“. Diese Art des Eingriffs ist von vornherein der elterlichen Disponibilität entzogen und damit grds. nicht einwilligungsfähig!
[7] FYI: Die ETBI-Problematik kann verschiedener Weise dargestellt werden; vorzugswürdig, da nicht dezisiv, erscheint der hier vertretene Aufbau.
[8] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222.
[9] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 8.
[10] Das unmittelbare Ansetzen iSd. § 22 StGB verkörpert das objektive Unrechtselement des Versuchs, da hierin die innere rechtsfeindliche Gesinnung des Täters nach außen erkennbar in Erscheinung tritt und so die Eignung entfaltet, das Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung zu stören.
[11] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 10-13.
[12] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 11.
[13] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 12.
[14] FYI: Hierzu zählen auch die in der Ausbildung viel genutzten Kommentare Schönke/Schröder/Eser/ Bosch, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 11; Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 24 Rn. 8; Lackner/ Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 24 Rn. 11.
[15] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 13.
[16] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 14.
[17] Vgl. vertiefend: MüKoStGB/Hoffmann-Holland, 5. Aufl. 2024, StGB § 24 Rn. 72 ff.: Hauptkritikpunkt ist die untragbare Privilegierung des umsichtig planenden und besonders gefährlich vorgehenden Täters, der bereits bei der Deliktsplanung sämtliche möglichen Geschehensabläufe einkalkuliert, gegenüber denjenigen Tätern, die sich von vornherein auf ein bestimmtes Tatmittel festlegen.
[18] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 14.
[19] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 15.
[20] Vgl. BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 15: „Ein Rücktritt vom beendeten Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts ist grundsätzlich auch dadurch möglich, dass der Täter das Eintreten der Folge verhindert, nachdem er zunächst alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan hatte“.
[21] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 17.
[22] BGH, Beschl. v. 17.04.2024 – 1 StR 403/23, BeckRS 2024, 10222, Rn. 17.
[23] FYI: Von einem error in persona vel obiecto spricht man, wenn man tatsächlich einen Menschen mit einem Objekt verwechselt (Schuss auf vermeintliche Vogelscheuche, die sich als Mensch entpuppt). Von einem error in persona (soz. in Reinform) spricht man, wenn man hinsichtlich der Identität eines Menschen irrt, jedoch das tatbestandliche „Objekt“ gleichwertig (!) ebenso ein Mensch ist. Zu unterscheiden ist der e.i.p bekanntlich von einem unbeachtlichen Fehlgehen des Tatmittels (aberatio ictus).
[24] Bsp. 1: A schießt auf den B, um dessen Portmonee wegnehmen zu können. Er hält es für möglich, dass B an den Folgen des Schusses stirbt. B überlebt jedoch. Unproblematisch ist hier §§ 211; 22; 23 Abs. 1 StGB verwirklicht. Fraglich ist jedoch, ob auch ein Versuch des § 251 StGB vorliegt.
[25] § 11 Abs. 2 StGB verlangt, dass der Täter „wenigstens“ fahrlässig oder leichtfertig hinsichtlich der schweren Folge gehandelt haben muss.
[26] Im Bsp. 1 hat sich A somit auch wegen eines versuchten Raubes mit Todesfolge gemäß §§ 251, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
[27] Bsp. 2: A bedroht einen Ordner in einem Fußballstadion, um dessen Eingreifen bei dem geplanten Diebstahl eines Spielertrikots zu verhindern. Kurz bevor A das Trikot (= Beute) an sich nehmen kann, löst sich unbeabsichtigt ein Schuss, der den Ordner tödlich verletzt (= schwere Folge). Anschließend erscheint die Verstärkung des Ordners und überwältigt A, bevor dieser das Trikot stehlen kann. In diesem Fall wäre eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB sowie ein versuchter Raub nach §§ 249, 22, 23 Abs. 1 StGB gegeben. Fraglich ist jedoch, ob auch ein versuchter Raub mit Todesfolge nach §§ 251, 22, 23 Abs. 1 StGB vorliegt, der i.Ü. eine Strafbarkeit gem. § 222 StGB auf Konkurrenzebene verdrängen würde.
[28] In unserem Bsp. 2 knüpft die Erfolgsqualifikation des § 251 StGB (Todeseintritt) nicht an den Erfolgseintritt des Grunddelikts – hier § 249 StGB – (Wegnahme); maW: Da sich nach h.M. in der Todesfolge die raubspezifische Gefährlichkeit verwirklicht haben muss, ist ein erfolgsqualifizierter Versuch unproblematisch, wenn der Täter die Nötigungsmittel ausgeführt hat und die Vollendung der Wegnahme ausgeblieben ist.
[29] Bsp. 3: A bedroht einen Wachmann in einem Museum, damit dieser ihm nicht beim Diebstahl einer Skulptur in die Quere kommt. Gerade als A die Beute an sich nehmen will, löst sich ein Schuss, der ungewollt den Wachmann tötet. Obwohl A das Bild mühelos entwenden und fliehen könnte, entscheidet er sich, von dem Diebstahl abzusehen und verlässt das Museum ohne Beute. Hier hat A freiwillig auf die Wegnahme verzichtet. Fraglich ist jedoch, ob ein Rücktritt vom Versuch gem. § 249 StGB (und damit auch vom erfolgsqualifizierten Versuch gemäß § 251 StGB) ausgeschlossen ist, weil der qualifizierende Todeserfolg bereits eingetreten ist.
[30] Im Bsp. 3 ergibt sich somit eine Strafbarkeit des A gem. § 222 StGB. Hinsichtlich des versuchten Raubes (mit eingetretener Todesfolge iSd. § 251 StGB) ist A mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten.
[31] Verfasser: Christian Lederer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann,
Supervision: Dr. Lennart Brüggemann, RA & Partner bei HLB Schumacher Hallermann
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