Entscheidung des Monats Mai 2024
Zivilrecht - "Wenn es brennt, dann hilft die ZPO – wenn was explodiert, dann ebenso!“
Hinweis vom HLB-Team: „So ein großer Feuerball, Junge!“ In etwa so ließen sich wohl die unserer diesmonatigen Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen vom OLG Celle in pointiertem Format treffend zusammenfassen (Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23): Eine stillgelegte Tankstelle explodiert im Zuge der Reinigung zweier 2.000 l Tankstellen-Tanks zum Zwecke der Wiederaufnahme des Betriebs eben jener „Geister-Tankstelle“.
Wie unsere niederländischen New Kids, könnt auch ihr euch nun bei Kaltgetränk und Snacks zurücklehnen und den von uns, in gewohnt studierendenfreundlich Art aufbereiteten, explosiven Erwägungsgründen des OLG folgen. Es geht dabei um wahrhafte Klassiker des Schuld-, Schadens- und Prozessrechts. Behandelt werden etwa vertragliche Verkehrssicherungspflichten, Fragen der Darlegungs- und Beweislast sowie um Einzelfallfragen aus dem Schadensrecht.
Kombiniert ergeben diese „Zivilrechts-Evergreens“ den Stoff aus dem die Träume sind, wenigstens aus Sicht des Klausurstellers: Eine attraktive Examensklausur, welche den Prüflingen einiges an Fachwissen und methodischem Vorgehen abverlangt und gleichzeitig Schwerpunktsetzung abverlangt. Vor allem kleinere Rechtsprobleme im Schadensrecht sind beliebte „Anhängsel“ einer Klausur, wenn diese noch nicht ganz für fünf Stunden reicht. Alternativ kann auch eine zivilprozessuale Zusatzfrage im Anschluss lauern – so zuletzt ZR I im Mai-Durchgang. Darüber hinaus zeigt die Entscheidung des OLG Celle auf, wie damit umzugehen ist, wenn die Ursache eines schadensauslösenden Ereignisses nicht mehr festzustellen ist und welche Bedeutung die Risikosphären der Beteiligten hinsichtlich der Beweislast haben.
Examensklassiker hin oder her, wollen wir in diesem Monat das Augenmerk in unserer dogmatischen Vertiefung auf die prozessualen Fragen der Beweislastverteilung legen. Eine Thematik, die vornehmlich Referendare in den Vorbereitungen auf die zweite Examen beschäftigen wird, welche im selben Zuge aber auch in der mündlichen Prüfung des ersten Examens bei vielen Praktikern in der Prüfungskommission beliebter Prüfungsstoff ist. Gerade, wenn die Prüflinge keinen feststehenden Sachverhalt bearbeiten sollen, sondern gewisse Fragen unklar sind und auch nicht bewiesen werden können, kommt es auf die Beweislast an (sog. non liquet-Situation). In unserem dogmatischen Teil stellen wir daher die Grundsätze der Beweislast dar und gehen auch auf Besonderheiten wie den Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis), die sekundäre Darlegungslast sowie die Beweislastumkehr ein. Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre!
Die Hintergründe der Entscheidung
Nach den Feststellungen des OLG Celle[1] ist die Klägerin, ein mittelständisches Tischlereiunternehmen mitsamt firmeneigenen Fuhrparks, seit 2016 Pächterin einer auf ihrem Firmengelände befindlichen Tankstelle. Letztere war bis dato zwar bereits seit etwa zwanzig Jahren außer Betrieb. Allerdings plante die Klägerin, den Tankstellenbetrieb zukünftig zugunsten der wachsenden, tischlereieigenen Flotte wieder neu aufzunehmen. Aus diesem Grund beauftragte die Klägerin im Juli 2018 die Beklagte mit der Reinigung zweier leerstehender Kunststoff-Tankstellentanks. Die Beklagte ihrerseits beauftragte eine Reinigungsfirma (den Streithelfer) für die Ausführung der Arbeiten.
Im September 2018 kamen zwei Mitarbeiter der Reinigungsfirma für die Reinigungsarbeiten auf das Tankstellengelände. Sie ließen die Stromzufuhr der Pumpe der Tanks von der Klägerin unterbrechen und führten anschließend die Reinigungsarbeiten aus. Daraufhin kam es zu einer Explosion eines der Tanks. Sowohl der genaue Zeitpunkt der Explosion als auch die Ursache konnten nicht aufgeklärt werden.[2]
Die Klägerin behauptet, es sei während der von den Mitarbeitern des Streithelfers ausgeführten Tankreinigung wegen fehlerhafter Ausführung der Reinigungsarbeiten zu der Explosion des Tanks gekommen, als der Zeuge D die Verkleidung für die Kraftstoffpumpe wieder angebaut habe. Die Zeugen hätten Lösungsmittel zur Reinigung des Tankinneren eingesetzt, wobei ein Schmierfilm zurückgeblieben sei. Die Explosion sei erfolgt, als auf die Bitte eines der Zeugen die Stromzufuhr zur Tankstelle wieder eingeschaltet worden sei. Die Kosten für die Wiedererrichtung der Tankstelle seien mit 42.086,73 €, in jedem Fall zumindest mit 25.000 €, zu beziffern. Die Klägerin ist der Ansicht, ihr persönlich seien darüber hinaus weitere Schadenspositionen entstanden: Sie macht u.a. einen Schaden von mehr als 10.000 € geltend, da sie die monatliche Miete i.H.v. 178,50 € (brutto) – 61 Monate lang – vergeblich für die zerstörte Tankstelle zahle. Sie habe mit dem Eigentümer vereinbart, dass sie sicherstelle, dass die Tankstelle neu errichtet und zum Ende der Mietzeit herausgegeben werde.[3] Neben dieser vergeblich aufgebrachten Miete sei ihr zudem die entgangene Nutzungsmöglichkeit der Tankstelle zu ersetzen. Dieser entgangene Nutzungsvorteil sei zumindest auf weitere 5.000 € zu beziffern.[4]
Die Beklagte und der Streithelfer behaupten, die Mitarbeiter der Reinigungsfirma hätten die Tankstellenreinigung nach den anerkannten Regeln der Technik (lege artis) und den gesetzlichen Vorschriften durchgeführt. Erst nach Abschluss der Tankstellenreinigung sei es zu einer Explosion gekommen, wobei die Tankstellenreinigung für die erfolgte Explosion nicht ursächlich gewesen sei. Die Explosion sei vielmehr auf eine unsachgemäße Inbetriebnahme durch die Klägerin zurückzuführen. Das Anstellen des Stromes und ein Defekt an der Pumpe kämen als Ursache ebenso in Betracht.[5]
Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von sämtlichen Schadensersatzansprüchen des Eigentümers der Tankstelle aus Anlass der Zerstörung bzw. Beschädigung der Tankstelle durch das Schadensereignis freizustellen (auf gutdeutsch: die Klägerin will von ihrem Vermieter und dessen berechtigten (vertraglichen) Ansprüchen verschont bleiben). Außerdem beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.000 € nebst Jahreszinsen hierauf i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Sie begründet ihr Begehren damit, dass – bei lebensnaher Sachverhaltsbetrachtung – die Reinigungsarbeiten der Mitarbeiter des Streithelfers – kausal für die Explosion gewesen sein müssen.[6]
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die mündliche Anhörung eines Sachverständigen. Dieser hat ausgeführt, dass der genaue Geschehensvorgang nicht mehr zu ermitteln sei. Aus dem erkennbaren Schadensbild ergebe sich aber, dass es im Tank zu einer schlagartigen Volumenausdehnung gekommen sei, wie sie typischerweise bei einer Explosion auftrete. Für die Entstehung einer solchen Explosion seien vier Voraussetzungen erforderlich: Zum einen müssten brennbares Gas und Sauerstoff vorhanden sein, außerdem müssten diese durchmischt worden sein, wobei die Gaskonzentration innerhalb der Explosionsgrenze liegen müsse. Ferner sei eine Zündquelle erforderlich und zuletzt müsse diese innerhalb der explosionsfähigen Atmosphäre wirksam werden. Im Tank seien noch Reste von Flüssigkeiten und Gasen eingeschlossen gewesen, die bei dem mechanischen Aufbrechen der Ablagerungen freigesetzt werden könnten und sich im Tank wieder anreicherten. Für die Explosion selbst kämen mehrere Zündquellen in Betracht, nämlich einmal die Kraftstoffpumpe selbst, das Wiedereinschalten des Stromes, die Montagearbeiten an der Pumpe, ein Erdungsfehler, ein Defekt der Pumpe, ein durch die Montagearbeiten verursachter Potentialausgleich oder eine Funkenbildung durch die Arbeiten an der Pumpe mit einem Schraubschlüssel – letztlich sei die konkrete Zündquelle aber nicht ermitteln.[7]
Die Entscheidung
Entgegen der vorigen Instanz hat das OLG Celle als Berufungsgericht entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Eigentümer der Tankstelle gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 631, 249 ff. i.V.m. § 257 BGB habe. Allerdings habe sie keinen Anspruch auf Zahlung der 10.000 € für die vergeblich gezahlte monatliche Miete für die Tankstelle.
Der Feststellungsantrag muss zulässig sein. Insbesondere muss zugunsten des Klägers das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vorliegen.[8]
I. Feststellungsantrag
Das Gericht prüfte zunächst die Zulässigkeit der Berufung der Klägerin: Im Rahmen der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO gilt es sodann ein paar Besonderheiten zu beachten.
#Definition: Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO)
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen“
Vorliegend sei für die Klägerin die Inanspruchnahme durch den Eigentümer der Tankstelle sowie die Kosten für einen Wiederaufbau zum Zeitpunkt der Tankstelleneinrichtung nicht vorhersehbar und abschließend bezifferbar gewesen, sodass die Erhebung einer Leistungsklage nicht zumutbar gewesen sei.[9]
Sodann müsste der zulässige Feststellungsantrag auch begründet sein. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung nebenvertraglicher Pflichten müssten vorliegen.
- Schuldverhältnis
Das Gericht stellt fest, dass zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis aufgrund des geschlossenen Werkvertrages über die Reinigung der Tanks gem. § 631 BGB bestanden habe.
- Kausale Pflichtverletzung
Die Beklagte habe auch eine Pflicht, namentlich eine vertragliche Nebenpflicht i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Eine solche folge aus dem zwischen den Parteien geschlossenen privatrechtlichen Benutzungsvertrag, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Denn bei einem solchen Vertrag über die Reinigung eines Kraftstofftanks bestehe eine Schutzpflicht des reinigenden Fachunternehmens, die Rechtsgüter des Auftraggebers vor Beschädigungen beim Reinigungsvorgang zu bewahren. Dabei handele es sich um einen Unterfall einer Verkehrssicherungspflicht als vertragliche Nebenpflicht.
#Definition: Verkehrssicherungspflicht
„Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, hat die Pflicht, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schäden anderer zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu schützen.“
Denn auch bei vertraglichen Schuldverhältnissen habe jeder Vertragspartner die Pflicht, auf das Integritätsinteresse seines Vertragspartners Rücksicht zu nehmen und dieses zu erhalten. Diese Pflicht entspreche inhaltlich den deliktischen Verkehrssicherungspflichten, sodass die dazu entwickelten Grundsätze entsprechend anwendbar seien. Die Beklagte sei mithin dazu verpflichtet gewesen, Vorkehrungen zur Beseitigung solcher Gefahren zu treffen, die ein umsichtiger, verständiger und vorsichtiger Angehöriger seines Verkehrskreises für notwendig und angemessen erachtet hätte.[10] Diese Pflicht habe die Beklagte hier verletzt. Nach Durchführung der Beweisaufnahme sei der Beklagten zur Überzeugung des Senats der Beweis nicht gelungen, dass die Explosion auf eine andere Ursache als die nicht fachgerechte Reinigung zurückzuführen ist.[11]
An dieser Stelle wird es prozessual nun interessant. Denn im Ergebnis haben wir es hier mit einer astreinen sog. non liquet-Situation zu tun, also eine Situation, in der im Zivilprozess nach Durchführung der Beweisaufnahme keine Klarheit über entscheidungsrelevante Tatsachen erreicht wurde. In solchen Fällen trägt die beweispflichtige Partei die Folgen der Unklarheit und verliert i.d.R. den Prozess. Im vorliegenden Streitfall ergeben sich nach Ansicht des Gerichts aber Besonderheiten.
Grundsätzlich trage zwar der Gläubiger die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung, den Schaden und den Ursachenzusammenhang zwischen beiden Merkmalen. Etwas anderes gelte indes dann, wenn als mögliche Ursachen des Schadens nur solche aus dem Gefahren- und Obhutsbereich des Schuldners in Betracht kommen. In diesem Fall, müsse der Schuldner sich nicht nur hinsichtlich der subjektiven Seite, sondern auch bezüglich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten. Bei einer Schadensersatzhaftung gelte das auch, wenn die genaue Ursache nicht aufgeklärt werden konnte.[12] Diese Voraussetzung war nach Auffassung des Senats hier erfüllt.
Auf Gutdeutsch: Ein 2.000 l-Kunststofftank entscheidet sich – jenseits des Drehsets von „Alarm für Cobra 11“ – nicht willkürlich dazu, in die Luft zu fliegen; die (grds. beweispflichtige) Klägerin war jedoch während genau dies geschah derart weit entfernt vom Einwirkungsbereich auf den Tank, dass hier ausnahmsweise eine Einzelfallbetrachtung der Darlegungs- und Beweissituation billiger erscheint. Dies gilt umso mehr, als da die Beklagte – insoweit gegensätzlich zur Klägerin – im zündenden Moment gerade auf den Tank einwirkte.
Sämtliche durch den Sachverständigen festgestellten möglichen Explosionsursachen seien ausschließlich dem Gefahren- und Obhutsbereich der Beklagten zuzuordnen. Auch stehe nach den Ausführungen des Sachverständigen fest, dass diese allesamt bei Einhaltung der erwartbaren und zumutbaren Sorgfalt durch die Beklagte hätten vermieden werden können (z.B. Schmiermittel entfernen etc.).[13] Diese Einschätzung, also dass die Mitarbeiter des Streithelfers der Beklagten den Anforderungen zur Vermeidung von Explosionen nicht gerecht geworden sind, werde auch durch die rechtlichen Vorgaben der Explosionsschutz-Regeln gestützt.[14] Für deren Einhaltung sei die Beklagte beweispflichtig. Diese hat jedoch dafür, ob und inwieweit vorliegend durch die Mitarbeiter des Streithelfers überhaupt Explosionsschutzmaßnahmen getroffen oder wenigstens bedacht wurden, nichts vorgetragen bzw. Beweis angeboten.[15] Damit sei der hiesige Sachverhalt mit jenen vergleichbar, in denen die Rechtsprechung zu einer Umkehr der Beweislast gelangt.[16]
- Vertretenmüssen
Die Beklagte (n.b.: Die Beklagte ist hier nicht das ausführende Reinigungspersonal!) muss diese (Verkehrsicherungs-)Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Ein eigenes Verschulden scheidet aus, da nicht sie selbst die Tanks reinigte. Sie könnte sich jedoch gem. § 278 BGB das pflichtwidrige und somit schuldhafte Verhalten der Mitarbeiter des Streithelfers zurechnen lassen müssen, wenn diese als Erfüllungsgehilfen für die Beklagte tätig gewesen sind.[17]
#Definition: Erfüllungsgehilfen
„Als Erfüllungsgehilfen werden Personen bezeichnet, die mit Wissen und Wollen im Pflichtenkreis des Schuldners bei der Erfüllung einer dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig sind.“
Dies war vorliegend infolge des zwischen der Beklagten und dem Streithelfer geschlossenen Reinigungsvertrages. Die Beklagte hat die Pflichtverletzung zu vertreten.[18]
- Schaden
Der Klägerin sei grundsätzlich auch ein Schaden durch diese Pflichtverletzung entstanden, nämlich in Gestalt der Schadensersatzansprüche, die der Eigentümer der Tankstelle aus Anlass der Zerstörung bzw. Beschädigung der Tankstelle gegen sie habe.[19]
Die Voraussetzungen für einen Anspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB liegen demnach vor. Der Feststellungsantrag ist insoweit begründet.
II. Zahlungsantrag
Hingegen lehnte das OLG Celle einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 12, 631 BGB wegen nutzlos aufgewendeter Miete für die Tankstelle ab.[20]
Grundsätzlich habe zwar der Streithelfer schuldhaft die Ursache für die Explosion der Tankstelle gesetzt, was sich die Beklagte gemäß § 278 BGB auch zurechnen lassen müsse. Allerdings stelle die Mietzahlungen keinen kausalen erstattungsfähigen Schaden gemäß § 249 BGB dar.
#Definition: Schaden
„Der Schaden bezeichnet jedes unfreiwillige Vermögensopfer.“
Die Mietzahlungen wären nach Auffassung des Senats auch in der Ausfallzeit – unabhängig vom haftungsbegründenden Schadensereignis – angefallen. Das Verhalten der Beklagten sei mithin nicht kausal für diesen Schadensposten. Dogmatisch u.U. sogar noch präziser, kann ebenso bereits das Merkmal der „Unfreiwilligkeit“ in Frage gestellt werden, da die Klägerin die Mietzahlungen hier gerade infolge ihrer privatautonom gesetzten Rechtsbeziehung entrichtet.
Die Klägerin, so das Gericht, sei vertraglich verpflichtet gewesen, die Miete für die Tankstellenanlage an deren Eigentümer zu zahlen. Da die Mietsache durch einen unbehebbaren Schaden untergegangen sei, der nicht auf einem Mangel beruhe, gelten die allgemeinen Vorschriften zur Unmöglichkeit. Damit sei für die Rechtsfolgen entscheidend, wer die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin selbst den Untergang der Mietsache zu vertreten, da sie sich im Verhältnis zum Eigentümer der Tankanlage das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten zurechnen lassen müsse.[21]
Die Mietkosten seien als sog. „Sowiesokosten“ nicht erstattungsfähig, da diese auch bei ordnungsgemäßer Leistung angefallen wären. Vorliegend habe die Mieterin bereits zwei Jahre vor dem Schadensereignis die streitbetroffene, über Jahre nicht betriebene Tankstelle gemietet und selbst wenn der Tank ordnungsgemäß gereinigt worden wäre, wäre der Betrieb nicht direkt wiederaufgenommen worden. Zu einer konkret geplanten Wiederaufnahme fehle es an Angaben von Seiten der Klägerin. Damit sei davon auszugehen, dass die monatliche Miete ebenso für eine nicht funktionstüchtige Tankstelle angefallen wäre, wie ohne das Schadensereignis.[22] Letztlich scheitere der Anspruch also an einem fehlenden substantiierten Vortrag der Klägerin hinsichtlich ihres Schadens, bzw. der Unfreiwilligkeit desselben.
Dogmatische Vertiefung
Im Zivilprozess gilt – anders als im Strafverfahren – nicht der Amtsermittlungsgrundsatz, sondern der Beibringungsgrundsatz. Das bedeutet, dass der Entscheidung des Gerichts nur der tatsächliche Prozessstoff zugrunde gelegt werden darf, der von den Parteien in den Prozess eingeführt wurde. Daher ist die Frage, wer die Beweislast für unbewiesene oder nicht beweisbare Tatsachen trägt, von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens.[23] Grundsätzlich darf das Gericht nämlich lediglich auf die von den Parteien angebotenen Beweismittel zurückgreifen, vom Amts wegen darf es nur die Vorlage von Urkunden, auf die sich eine Partei bezogen hat, die Einholung eines Sachverständigengutachtens, die Einnahme eines Augenscheins und die ergänzende Vernehmung einer Partei anordnen.[24]
Es lohnt sich an dieser Stelle lohnt es sich einen vertieften Blick auf die Beweisregeln der ZPO zu werfen. Sind diese in den Klausuren des ersten Examens infolge feststehender Sachverhalte zwar nicht relevant, wissen gerade Praktiker Fragen, die die ZPO betreffen, sehr zu schätzen – sie machen den lieben langen Tag ja vor allem das: Prozessrecht.
I. Beweisbedürftigkeit
Um die Frage zu beantworten, welche Tatsachen beweisbedürftig sind, muss man sich zunächst einmal klarmachen, wie die Geltendmachung eines Anspruchs im Zivilprozess praktisch abläuft.
Die Einreichung der Klage erfolgt mittels Klageschrift beim zuständigen Gericht. Diese muss nach § 253 Abs. 2 ZPO neben der Bezeichnung des Gerichts und der Parteien den Gegenstand und auch den Grund des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmen Antrag enthalten. Dieser Klagegrund ist derjenige Tatsachenkomplex, mit dem der Kläger seine Klage begründet; mithin die tatsächlichen Verhältnisse aus denen er die in Anspruch genommene Rechtsfolge abgeleitet wissen will.[25]
Für diese Erklärungen gilt nach § 138 Abs. 1 ZPO die Wahrheitspflicht. Diese statuiert ein Lügeverbot bezüglich der Tatsachen im Prozess.[26] Die Regelung zeigt, dass trotz Geltung des Verhandlungsgrundsatzes, das Verfahren auf die Findung der Wahrheit ausgerichtet ist.[27] Erforderlich ist dabei die Schlüssigkeit des Vortrags. [28]
#Definition: Schlüssigkeit
„Ein Sachvortrag ist dann schlüssig oder erheblich, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte (Gegen-) Recht zu begründen.“
Sofern der Sachvortrag schlüssig ist, hat sich die Gegenseite wiederum nach § 138 Abs. 2 ZPO über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Die Partei kann pauschales Vorbringen des Gegners einfach bestreiten, substantiierte Erwiderungen sind hingegen erforderlich, wenn der Gegner selbst substantiiert vorgetragen hat.[29] Für Tatsachen, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, ist nach § 138 Abs. 4 ZPO eine Erklärung mit Nichtwissen zulässig.
Die Substantiierungsanforderungen der behauptungsbelasteten Partei können in Fällen reduziert sein, in denen die Partei keinen Einblick in die behaupteten Vorgänge hat, dann besteht die sog. sekundäre Darlegungs- und Behauptungslast des Gegners.[30]
Erst nach dieser Erklärung der Gegenseite auf das Vorbringen des Klägers steht die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen fest.[31] Behauptungen, die nicht bestritten oder zugestanden oder offenkundig sind, sind nicht beweisbedürftig. Beweisbedürftigkeit besteht nur in Fällen, in denen die Wahrheit des von den Parteien eingeführten Prozessstoffes nicht eindeutig ist.[32] Auch die Tatsachen, zu denen sich eine Partei nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklärt hat, sind beweisbedürftig.[33]
II. Die Beweislast
Sofern der Beklagte also eine Tatsachenbehauptung des Klägers bestreitet, ist entscheidend für den Prozessausgang, zu wessen Lasten eine Nichtbeweisbarkeit geht.
In der ZPO findet sich keine explizite Norm zur Beweislastverteilung im Prozess. Anknüpfungspunkt für Beweisfragen ist § 286 ZPO, der in Abs. 1 die freie Beweiswürdigung des Gerichts regelt und in Abs. 2 festlegt, dass das Gericht an gesetzliche Beweisregeln nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden ist. [34]
#Definition: Beweisregeln
„Beweisregeln sind Vorschriften, die die richterliche Überzeugungsbildung an formale Kriterien binden. Die ZPO enthält Beweisregeln über die Beweiskraft von Urkunden, von elektronischen Dokumenten, von Protokolls und Urteilstatbestand.“
Darüber hinaus mangelt es allerdings an Regelungen zur Frage, wer denn die Tatsachen im Beweis beweisen muss und demzufolge auch, zu wessen Lasten eine nichtbewiesene Tatsache geht.
Im Prozess sind in zwei unterschiedlichen Situationen Beweisfragen von Bedeutung: Zum einen zu Beginn des Prozesses, wenn entscheidend ist, welche Partei ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal zu beweisen hat. Zum anderen zum Ende des Prozesses, wenn sich die Frage stellt, zu wessen Lasten eine unbewiesene Tatsache geht.[35] Bei der subjektiven Beweislast handelt es sich um die den Parteien obliegende echte Last, den Beweis der streitigen Tatsache durch eigenes Tätigwerden zu führen. Dieser Last kommt die jeweilige Partei dadurch nach, dass sie Beweisanträge stellt sowie konkrete Beweismittel für ihre Behauptungen aufstellt.[36] objektive Beweislast bezieht sich auf die Problematik, dass eine Tatsache unbewiesen geblieben ist und beantwortet die Frage, zu wessen Nachteil dies ausgeht. Damit kommt der objektiven Beweislast erst zum Ende der mündlichen Verhandlung Bedeutung zu.[37]
III. Verteilung der Beweislast
Zwar enthält das Zivilrecht keine ausdrückliche Grundregel für die Verteilung der Beweislast, dennoch besteht Einigkeit, dass den Anspruchsteller die Beweislast für alle rechtsbegründenden Tatsachen trifft, den Anspruchsgegner hingegen die Beweislast für alle rechtshemmenden, rechtshindernden und rechtsvernichtenden Tatsachen. Einfacher formuliert: Jede Partei muss die für sie günstigen Tatsachen beweisen[38].[39]
An manchen Stellen sieht das Gesetz ausdrückliche Normen über die Beweislastverteilung vor. Das sind beispielsweise §§ 179 Abs. 1, 354, 262, 619a, 2236 BGB.[40] Ist das nicht der Fall, so helfen die sprachlichen und satzbaumäßigen Formulierungen der Normen. Beispiele für spezielle Beweislastverteilungen sind daher Satzeinleitungen wie „dies gilt nicht, wenn“ oder „der Anspruch entfällt, wenn“ (vgl. dazu § 280 Abs. 1).[41]
Für den Fall, dass sich dem Gesetz auch anhand dieser Grundsätze kein eindeutiges Ergebnis entnehmen lässt, ist auf materielle Erwägungen abzustellen. Ist nach dem Gesetz beispielsweise eine bestimmte Rechtsfolge oder Situation als Regelfall vorgesehen und gibt es einen Ausnahmetatbestand, dann trägt derjenige die Beweislast, der sich auf einen Ausnahmetatbestand beruft.[42]
Zu beachten ist, dass verschiedene Kriterien gerade keine Bedeutung für die Beweislastverteilung haben: Sowohl die prozessuale Parteirolle[43] als auch die konkrete Verfahrensart hat keine Auswirkung auf die Beweislastverteilung.[44] Daneben können Beweislastverteilungsregeln auch nicht unmittelbar aus bestimmten Prinzipien abgeleitet werden. So darf die Beweislast im Einzelfall nicht nach Billigkeit oder ähnlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Ferner ist die Idee abzulehnen, dass die negative Formulierung eines Tatbestandsmerkmals für die Beweislastverteilung ausschlaggebend ist.[45]
IV. Vermutungen
Ausgangspunkt für die Frage, wie gesetzliche Vermutungen zu behandeln sind, ist § 292 ZPO, der in S. 1 bestimmt, dass, wenn das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung aufstellt, der Beweis des Gegenteils zulässig ist, sofern das Gesetz nicht ein anderes vorschreibt. Damit bestimmt die Norm in erster Linie, dass gesetzliche Vermutungen im Grundsatz widerlegbar sind.[46] Diese Bestimmung gilt nicht für unwiderlegliche gesetzliche Vermutungen wie z.B. § 1566 BGB oder Fiktionen, wie § 108 Abs. 2 S. 2 BGB.[47]
Bei den widerleglichen gesetzlichen Vermutungen unterscheidet man zwischen Tatsachen- und Rechtsvermutungen. Bei Tatsachenvermutungen schließt das Gesetz von einer tatbestandsfremden Tatsache auf ein Tatbestandsmerkmal, beispielsweise vom Besitz des Gläubigers am Hypothekenbrief auf die Übergabe nach § 1117 Abs. 3 BGB. Bei den Rechtsvermutungen hingegen schließt das Gesetz von einer Tatsache unmittelbar auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses, beispielsweise von der Grundbucheintragung auf das Bestehen des eingetragenen Rechts, § 891 Abs. 1 BGB.[48]
Wenn die Vermutungsbasis feststeht, bewirken die Vermutungen eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Vermutungsgegners. Dieser muss nun das Gegenteil der Vermutung beweisen. Eine freie Beweiswürdigung für das Gericht findet nicht statt, vielmehr steht die Vermutung für das Gericht fest.[49] Entkräftet werden kann eine Vermutung auf zwei verschiedene Arten: Zum einen durch die Widerlegung der Vermutungsbasis, wobei bereits erhebliche Zweifel genügen, zum anderen durch Beweis des Gegenteils zur vollen Überzeugung des Gerichts.[50]
V. Der Anscheinsbeweis
Daneben gibt es im Rahmen der Beweiswürdigung noch den sog. „Anscheinsbeweis“ (auch „prima facie-Beweis“) zu beachten. Dabei geht es „um die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung durch den Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung.“ Angewendet wird der Anscheinsbeweis bei typischen Geschehensabläufen, durch deren Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines vergangenen Geschehens nachzuweisen.[51]
Derjenige, der den Hauptbeweis führen will, muss die jeweiligen Voraussetzungen beweisen. Ist das gelungen, müsste der Gegner Tatsachen vortragen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden und atypischen Verlaufs ergibt.[52]
Der klassische Lehrbuchfall des Anscheinsbeweises ist der Auffahrunfall. Dabei wird dann vermutet, dass der Auffahrende entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat und/oder unaufmerksam war und/oder mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist.[53] Vereinfacht zu merken: „Wer auffährt, hat Schuld“ oder „Wenn es hinten knallt, gibt´s vorne Geld“.[54]
VI. Beweislastumkehr
In einigen Fällen kann es auch entgegen der Grundregeln zu einer Umkehr der Beweislast kommen.[55] Diese kann nur in seltenen Fällen und methodisch ausschließlich im Wege richterlicher Rechtsfortbildung erfolgen, aus Gründen der Rechtssicherheit und Kalkulierbarkeit des Prozessrisikos ist dies aber nie im Einzelfall möglich.[56]
Dafür haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet: Produzentenhaftung, Arzthaftung (hins. einer – fehlenden – Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und Schaden), allgemeiner Berufshaftung und die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten.[57] Ein klausurrelevanter Fall dürfte die Produzentenhaftung sein. Dabei ist anerkannt, dass dem Hersteller bei der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB der Nachweis für das Nichtvorliegen des Verschulden obliegt, wenn bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieprodukts eine Sache oder eine Person durch die fehlerhafte Herstellung des Produkts geschädigt wird.[58] Diese Beweislastumkehr betreffend der Sorgfaltspflichtverletzung ist im Hinblick auf Fabrikationsfehler[59] entwickelt worden, ist aber auch für Konstruktionsfehler[60] anerkannt.[61] Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Verbraucher i.d.R. keinerlei Einblicke in den Produktionsprozess des Herstellers gewinnen wird und somit auch keine ihm günstigen Beweise vorzubringen in der Lage ist.
Daneben ist nach dem BGH auch in einem Fall, wie jenem des OLG Celle, eine Beweislastumkehr für die Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB über das Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hinaus anerkannt, wenn die Schadensursache (nur) im Obhuts- und Gefahrenbereich des Schädigers lag. Die Folge ist dann, dass sich die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auch auf die Pflichtverletzung selbst erstreckt.[62]
#Merke: Beweislastumkehr – Fallgruppen
- Produzentenhaftung Konstruktions- und Fabrikationsfehlern sowie der ordnungsgem. Organisation des Betriebs.
- Arzthaftung Kausalität (n.b.: NICHT hins. des Behandlungsfehlers selbst!),
- Allgemeine Berufshaftung Grober Missachtung von Berufspflichten,
- Verletzung von Aufklärungs- & Beratungspflichten (hypothet.) Kausalität
- 280 Abs. 1 BGB, soweit die Schadensursache (nur) im Obhuts- & Gefahrenbereich des Schädigers lag.
VII. Beweisvereitelung[63][64]
#Definition: Beweisvereitelung
„Beweisvereitelung liegt vor bei einem Verhalten, durch das eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht, indem sie vorhandene Beweismittel vorenthält, vernichtet oder ihre Benutzung erschwert oder indem sie wenigstens fahrlässig die Aufklärung eines bereits eingetretenen Schadensereignisses unterlässt, um dadurch die Entstehung eines Beweismittels zu verhindern, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar sein musste. Typische Fälle sind die Vernichtung von Augenscheinsgegenständen und Urkunden.“
Erforderlich ist auf der objektiven Seite ein Tun (oder Unterlassen) des Gegners der beweisbelasteten Partei, ohne welches die Aufklärung des Sachverhalts möglich gewesen wäre und auf der subjektiven Seite ein doppelter Schuldvorwurf. Zum einen muss die Partei ein Beweismittel vorsätzlich oder fahrlässig vernichten bzw. vorenthalten, zum anderen muss die Partei vorsätzlich oder fahrlässig auch die Beweisfunktion des Beweismittels beseitigt haben.[65]
Die Frage der Rechtsfolgen bei einer Beweisvereitelung ist streitig.[66] [67][68][69]
#Streit: Rechtsfolgen bei einer Beweisvereitelung
Z.T. wurde von der fr. Rspr. eine Beweislastumkehr angenommen; nach aA. muss die Beweisvereitelung i.R.d. freien richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigt werden.
2008 nannte der BGH als Rechtsfolge für die Beweisvereitelung Beweiserleichterungen, die zwar bis zu einer Umkehr der Beweislast gehen könnten, für die aber alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.
VII. Zusammenfassung
Auch bei unklarem Sachverhalt in einer Klausur ist es wichtig, die Ruhe zu bewahren. Für die Fragen der Beweislast hilft dann zunächst das Besinnen auf die allgemeine Grundregel, wonach jede Partei die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss. Liegt ein atypischer Fall vor oder ist die Konstellation besonders komplex, hilft ein Blick in die Kommentierung der jeweiligen Norm sowie das Grundwissen zu Rechtsfragen wie dem Anscheinsbeweis und der Beweislastumkehr. Daher: Keine Panik! Das dargestellte zweitinstanzliche Urteil zeigt sehr gut, dass sich auch über Beweisfragen trefflich streiten lässt und verschiedene Auffassungen vertretbar sind. Das LG hatte schließlich in Anwendung der allgemeinen Grundsätze die Beweislast für die Pflichtverletzung der Tankreiniger dem Kläger zugeschrieben und das OLG hatte unter Bezug auf ein Urteil vom BGH vom 22.10.2008[70] darauf abgestellt, dass für die Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht käme und er sich daher auch hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten muss.[71] Vertretbar in solch einem Fall wäre darüber hinaus sicher auch die Annahme eines Anscheinsbeweis gewesen.[72]
Mithin ist – insoweit ganz Jura-typisch– in der Klausur vor allem ein allgemeines Problembewusstsein erforderlich sowie das Verständnis der dargestellten Grundlagen. Mit diesen bist du jedenfalls hinreichend für zivilrechtliche Fragestellungen auf Examensniveau rund um die Beweislast gerüstet.[73]
[1] Zum ausführlichen Sachverhalt: OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008.
[2] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn 2).
[3] FYI: Die Begriffe „Miete“ und „Pacht“ werden in den vorliegenden Entscheidungsgründen des OLG Celle zum Teil synonym verwendet. Dies mag entweder an den von den Parteien (= Rechtslaien) vorgelegten, in rechtlicher Hinsicht unsauber beschrifteten Urkunden liegen (fälschlich als „Mietvertrag“ bezeichneter Pachtvertrag), oder aber – unwahrscheinlicher – schlicht an unsauberer Arbeit des Berichterstatters liegen. Grds. gilt: Gewerbeobjekte können auch verpachtet werden. Dies geschieht meist bei Objekten, die über Inventar verfügen, das mitverpachtet wird, etwa eine Tankstelle oder eine Vereinsgaststätte. Der Unterschied zur Miete besteht darin, dass der Mieter lediglich das Mietobjekt nutzen darf, während er bei der Pacht zusätzlich aus der Pachtsache einen wirtschaftlichen Ertrag ziehen darf (§ 581 BGB). Grds. gelten für den Pachtvertrag die gleichen Vorschriften wie für den Gewerbemietvertrag. Eine wichtige Ausnahme stellen dabei die Regelungen über den Gebrauch des mitverpachteten Inventars dar (§§ 582–583a BGB). Vereinfacht ausgedrückt haftet der Pächter für das Inventar und muss es gegebenenfalls ersetzen. Zudem gilt ein anderes Kündigungsrecht: Während Pachtverträge immer nur zum Ende eines Pachtjahres gekündigt werden können und die Kündigung spätestens am dritten Werktag des halben Jahres, mit dessen Ablauf die Pacht enden soll (§ 584 BGB) erfolgen muss, gilt für Gewerbemietverträge § 580a BGB: Die ordentliche Kündigung ist spätestens am 3. Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres zulässig, d. h. die Kündigungsfrist beträgt für beide Parteien 6 Monate zum Quartalsende (abdingbar).
[4] Zum Ganzen OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 3).
[5] Zum Ganzen OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 4).
[6] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 3, 6, 8).
[7] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 22).
[8] FYI: Insoweit gilt wie im Öffentlichen Recht die Maxime der Subsidiarität von Feststellungsklagen im Verhältnis zu Leistungsklagen. Die Gründe dafür wurzeln wie gewöhnlich im Gedanken der Prozessökonomie.
[9] FYI: Das Feststellungsinteresse liegt i.d.R. vor, wenn nach einem schädigenden Ereignis die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, vgl. Foerste, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 256 ZPO Rn. 14.
[10] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 19).
[11] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 18).
[12] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 20).
[13] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 21).
[14] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 25 ff.).
[15] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 27).
[16] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 21).
[17] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 15).
[18] FYI: Viele Studierende „beten“ an dieser Stelle gerne herunter: „Das Vertretenmüssen des Schuldners wird aufgrund der Negativformulierung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.“ Beachtet jedoch, dass es auf eine Vermutungsregel nur im Zweifelsfall ankommt; wenn ihr ein Vertretenmüssen hingegen bereits positiv feststellen könnt (so hier), dann ist die Floskel überflüssig und wird von strengen Prüfern negativ gewertet werden.
[19] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008, (Rn. 14).
[20] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 31).
[21] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 32 f.).
[22] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 34).
[23] Saenger, in: Saenger-ZPO, 10. Aufl. 2023, Einführung Rn. 66 mit Verweis auf BGH, Urt. v. 13.03.1997 – I ZR 215/94, BeckRS 1997, 4924.
[24] Bacher, in: BeckOK-ZPO, 52. Edition, Stand 01.03.2024, § 284 ZPO Rn. 34.
[25] Becker-Eberhard, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 253 ZPO Rn. 75.
[26] Fritsche, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rn. 2.
[27] Stadtler, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 138 ZPO Rn. 1.
[28] Fritsche, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rn. 18.
[29] v. Selle, in: BeckOK-ZPO, 52. Ed. Stand: 01.03.2024, § 138 ZPO Rn. 16 ff.
[30] Stadtler, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 138 Rn. 10a m.w.N.
[31] Fritsche, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rn. 18.
[32] Saenger, in: Saenger-ZPO, 10. Aufl. 2023, § 284 ZPO Rn. 4.
[33] Fritsche, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rn. 30.
[34] Bacher, in: BeckOK-ZPO, 52. Ed. Stand: 01.03.2024, § 286 ZPO Rn.14 f.
[35] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 ZPO Rn. 101.
[36] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 ZPO Rn. 101.
[37] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 103 ff.
[38] Bacher, in: BeckOK-ZPO, 52. Ed. Stand: 01. 03.2024, § 284 Rn. 72.
[39] FYI: Im Grüneberg findet ihr die jeweiligen Beweislastregeln i.d.R. am Ende der kommentierten Norm.
[40] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 112.
[41] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 117.
[42] Bacher, in: BeckOK-ZPO, 52. Ed. Stand: 01.03.2024, § 284 Rn. 74.
[43] BGH, Urt. v. 03.04.2001 – XI ZR 120/00, BeckRS 2001, 3978.
[44] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 123.
[45] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 124 f.
[46] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 292 Rn. 1.
[47] Huber, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 292 Rn. 1.
[48] Huber, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 292 Rn.2 f. m.w.N.
[49] Saenger, in: Saenger-ZPO, 10. Aufl. 2023, § 292 Rn. 8 f.
[50] Saenger, in: Saenger-ZPO, 10. Aufl. 2023, § 292 Rn. 12.
[51] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 50.
[52] Foerste, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 286 Rn. 23.
[53] BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16, BeckRS 2016, 113220 (1. Leitsatz); Metz in: NJW 2008, 2806 (2808).
[54] Janeczek, in: ZfSch 2015, 244 (244).
[55] FYI: In § 477 BGB ist dies für den Verbrauchsgüterkauf explizit gesetzlich angeordnet.
[56] Saenger, in: Saenger-ZPO, 10. Aufl. 2023, § 286 Rn. 66.
[57] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl 2020, § 286 Rn. 126 ff.
[58] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 128.
[59] BGH, Urt. v. 26.11.1968 – VI ZR 212/66, NJW 1969, 269 (276).
[60] BGH, Urt. v. 24.11.1976 – VIII ZR 137/75, NJW 1977, 379 (380).
[61] Wagner, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2024, § 823 Rn. 1138.
[62] BGH, Urt. v. 22.10.2018 – XII ZR 148/06, BeckRS 2008, 23568 (1. Leitsatz); Horst in: ZAP 2012, 1167 (1170).
[63] BGH, Urt. v. 25.06.1997 – VIII ZR 300/96, BeckRS 1997, 6957.
[64] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 83.
[65] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 86.
[66] Prütting, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl. 2020, § 286 Rn. 87; Laumen in: MDR 2009, 177 (178).
[67] BGH, Urt. v. 27.09.1951 – IV ZR 155/50, BeckRS 1951, 101900; BGH, Urt. v. 11.06.1952 – II ZR 277/51, NJW 1952, 867 (frühere Rspr.).
[68] Foerste, in: Musielak/Voit-ZPO, 21. Aufl. 2024, § 286 Rn. 63 (andere Ansicht).
[69] BGH, Urt. v. 17.01.2008 – III ZR 239/06, BeckRS 2008, 1716 (Rn. 23).
[70] BGH, Urt. v. 22.10.2018 – XII ZR 148/06, BeckRS 2008, 23568.
[71] OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23, BeckRS 2024, 2008 (Rn. 20).
[72] Vgl. Horst in: ZAP 2012, 1167 (1170).
[73] Verfasserin: Lara Reich, Referendarin bei HLB Schumacher Hallermann.
Supervision:
Christian Lederer / Paul Müller, Wissens. Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann, Dr. Lennart Brüggemann, Rechtsanwalt & Partner bei HLB Schumacher Hallermann.
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