Entscheidung des Monats Februar 2023

Klimaaktivismus und Strafbarkeit

Hinweis vom HLB-Team: Klima-Rettung oder politisch motivierte Kriminalität[1]? Immer häufiger müssen deutsche Gerichte über diese Frage und damit über die Strafbarkeit der Protesttaten von Klimaaktivisten urteilen. Dabei wirkt die Wanderung zwischen dem Einsatz für die Umwelt und dem Polizeieinsatz gegen Umweltaktivisten schmal wie der Bossesgrat[2]. Populäre Beispiele für Proteste im Grenzbereich zwischen Rechtswidrigkeit und Legalität sind u.a. die Straßenblockaden und Blockade des Flughafens BER (vgl. §§ 315b; 316b; 316c StGB) durch die aktuell schlagzeilenschreibende Aktivisten-Gruppe „letzte Generation“. Jüngst löste ebenso der Tod einer Radfahrerin, deren Rettung sich durch eine Straßenblockade von Klimaaktivisten verzögert haben könnte, Diskussionen aus (vgl. § 323c Abs. 2 StGB). Die Liste ließe sich fortsetzen (insb. §§ 113, 114; 123; 240 Abs. 1 u. 2 StGB). Klar ist: Derlei Verstöße gegen das materielle Strafrecht übersteigen zweifelsohne die Schwelle zu Kavaliersdelikten. Doch polarisiert die Thematik und wird von den Gerichten teilweise unterschiedlich beurteilt, da sie wie keine Zweite das Spannungsfeld zwischen Recht, Moral und Ethik repräsentiert.[3]

Im Kern geht es um kollidierende Rechtsgüter und die Rechtswidrigkeit von Straftaten, die aus guter Gesinnung begangen wurden: Können ziviler Ungehorsam oder gar die Klimakrise als solche als „notstandsfähiges Rechtsgut“ Gegenstand des Notstands gem. § 34 StGB sein? Immerhin ist der Umweltschutz von Verfassungsrang (Art. 20a GG). Sollte folgerichtig auch das Strafrecht im Lichte dieser Werte auszulegen sein? Hierzu erging im Sommer 2022 durch das Oberlandesgericht (OLG) Celle ein aufschlussreicher Beschluss gegen einen Wandbeschmierer (Beschluss v. 29.07.2022, Az. 2 Ss 91/22).

Die Ausbildungsrelevanz wird eindrucksvoll durch diesen regen fachlichen Diskurs verdeutlicht. Aus diesem Grund wollen wir euch in der dogmatischen Vertiefung zur Hand gehen, indem die typischerweise im Kontext des Klimaaktivismus einschlägigen Straftatbestände in prägnanter und eingängiger Form beleuchtet werden.

Die Hintergründe der Entscheidung

Vom Farbpinsel zum Richterhammer – Im idyllischen Lüneburg malte sich ein Student der Nachhaltigkeits- und Politikwissenschaften an der Leuphana Universität in Lüneburg sein proaktives Engagement für den Klimaschutz und die gesellschaftliche Reaktion darauf wohl anders aus. Mit einer Farbattacke, die über ein Flächenmaß der Größe eines Gemäldes von Monet oder Van Gogh weit hinausging, wollte er auf die Klimakrise aufmerksam machen und zum sofortigen Handeln appellieren. Ein Appell reichte ihm dabei jedoch nicht aus: In herbstlichen Farben besprühte der Anfang 20-Jährige im Sommer 2021 unter Einsatz dreier Feuerlöscher wiederholt die Westseite des architektonisch eindrucksvollen „Libeskind-Baus“, das Hauptgebäude der Universität. Der Grund? Die Universität habe Gelder bei der Norddeutschen Landesbank angelegt, die ihrerseits in nicht nachhaltige Gas- und Kohleenergie investiere. Und das obgleich die Leuphana mit einem Nachhaltigkeitsimage werbe. Er habe sich dem Ziel verschrieben, die Öffentlichkeit wachzurütteln und zum Handeln zu bewegen.[4] Es entstanden Schäden im fünfstelligen Bereich. Er wurde letztlich der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 u. 2) angeklagt. Er gestand die Tat und berief sich auf eine Rechtfertigung nach § 34. Das AG Lüneburg folgte dem nicht und verurteilte den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen. Er wurde verwarnt. Eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 5,00 Euro wurde vorbehalten. Das Amtsgericht hielt die „altruistische Motivation“ dem Angeklagten zugute.[5] Gegen das Urteil legte der Angeklagte Sprungrevision beim OLG Celle ein.

 

Die Entscheidung

Das OLG Celle hat die Revision des Angeklagten gem. § 349 II StPO mit Beschluss[6][7] vom 29.07.2022 als unbegründet verworfen[8]. In den Gründen des Beschlusses setzt sich das OLG mit der Rechtfertigung der tatbestandlich begangenen Sachbeschädigung auseinander.

Wir erinnern uns: Der rechtfertigende Notstand gem. § 34 StGB bedarf einer Notstandslage (= gegenwärtige Gefahr), einer Notstandshandlung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Interessenabwägung & Angemessenheit des Mittels) sowie einem subjektiven Rechtfertigungselement (= Rettungs- /Abwendungswille).

Das OLG lehnt bereits eine Notstandshandlung durch den Angeklagten ab. Es fehle an der Geeignetheit des Handelns des Angeklagten für die von ihm bezweckte Abwehr der Gefahr eines möglicherweise unumkehrbaren Klimawandels. Es sei offenkundig, dass Beschädigungen der Fassade von Universitätsgebäuden durch den Angeklagten – ob vielzählig oder einzeln – keinerlei Auswirkungen auf den Klimawandel haben können. Derlei Taten seien stattdessen rein politisch motivierte Symboltaten.[9]

Es mangele zudem ebenso an einer Erforderlichkeit: die Gefahr eines Klimawandels könnte durchaus anders als durch die Begehung von Straftaten abgewendet werden.[10]

Einen vertiefenden Blick wirft das OLG sodann auf eine potentielle Rechtfertigung der begangenen Straftaten durch „zivilen Ungehorsam“.[11] Dessen Idee ist im Kern, dass das Individuum letztlich zuerst seinem persönlichen Gewissen als letzter Autorität verpflichtet ist – noch vor Staat, Gesellschaft und Gesetzen.[12]

Das OLG definiert zivilen Ungehorsam konform mit dem BVerfG[13] als Verhalten, „mit dem ein Bürger durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis hin zu aufsehenerregenden Regelverletzungen einer als verhängnisvoll oder ethisch illegitim angesehenen Entscheidung entgegentritt bzw. in einer Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere zur Abwendung schwerer Gefahren für das Allgemeinwesen in dramatischer Weise auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte“.[14]

Das Gericht schließt eine dahingehende Rechtfertigung jedoch eindeutig aus. Niemand sei berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen. Dies ergebe sich bereits aus Art. 20 Abs. 4 GG. „Denn durch die Beschränkung des Rechts zum Widerstand auf eine Situation, in der die grundgesetzliche Ordnung der Bundesrepublik im Ganzen bedroht ist, besteht im Umkehrschluss eine Friedenspflicht zu allen anderen Zeiten.“ Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, könne dies daher in Wahrnehmung seiner Grundrechte aus Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 17 GG (Petitionsrecht) und Art. 21 Abs. 1 GG (Freiheit der Bildung politischer Parteien), nicht aber durch die Begehung von Straftaten tun.[15] Der Anwendungsbereich für das Widerstandsrecht des GG ist mitnichten eröffnet.

Es formuliert weiter allgemeingültig und juristisch nachvollziehbar: „Würde die Rechtsordnung insoweit einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruht, so liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus, wodurch eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung selbst verbunden wäre und die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung schlechthin unverträglich ist“ (BGHSt a.a.O; LK-Rönnau a.a.O.).[16] Man stelle sich vor, dass jener, der beispielsweise das Konzept der Steuerschuld ablehnt – aus welcher politisch-edlen Gesinnung auch immer – in seinen Steuerstraftaten wegen zivilen Ungehorsams gerechtfertigt sei. Eine solche Handhabe würde das Strafrecht ad absurdum führen.

Dogmatische Vertiefung

Die Aktualität von Klimaschutzstraftaten und die damit einhergehenden unterschiedlichen Rechtsauffassungen[17] machen selbiges gerade für die mündliche Prüfung zu einem fruchtbaren Quell potentieller Prüfungsfragen. Dem tragen wir Rechnung und liefern Euch folgend eine prägnante Übersicht, mit der Ihr die spannendsten, strafrechtlichen Erwägungen im Kontext mit Klimaaktivismus immer griffbereit habt.

Wir stellen ebenso fest: Ein strafrechtliches Problem der Rechtfertigung entsteht nur dort, wo das Verhalten der Protestierenden überhaupt den Tatbestand einer Strafnorm erfüllt. Daran kann es etwa fehlen bei Sitz- oder Schienenblockaden, der Besetzung abbruchreifer Häuser oder dem öffentlichen Gutheißen von Straftaten. Hier verbietet zum einen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot eine Auslegung über die Wortlautgrenze hinaus.[18] Zum anderen sind die Straftatbestände stets grundrechtskonform auszulegen und anzuwenden.

Regelmäßig tatbestandlich verwirklichte Straftatbestände des Besonderen Teils sind die §§ 113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte), 114 (Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte); § 123 (Hausfriedensbruch); § 240 Abs. 1, 2 und 4 (Nötigung und ihre Verwerflichkeit); §§ 303 Abs. 1 u. 2, 304 (Sachbeschädigung); §§ 315b, 316b, 316c (Gefährliche Eingriffe in den Verkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs, Störung öffentlicher Betriebe, Angriffe auf den Luft- & Seeverkehr); § 323c Abs. 2  StGB (Behinderung von hilfeleistenden Personen).

  1. § 240 StGB – Nötigung:

Nötigung liegt vor, wenn jemand einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt (Abs. 1). Sie ist rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen und die Nötigungshandlung zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist (Abs. 2). Die Verwerflichkeit kann sich dabei aus dem Mittel, dem Zweck oder der Zweck-Mittel-Relation ergeben und ist im Gutachten nach der Prüfung der Rechtfertigungsgründe zu verorten.

Typischer Fall der Nötigung durch Klimaaktivisten ist die Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit von Verkehrsteilnehmern durch die Verursachung von Verkehrsstopp und –stau. Es stellt sich hierbei zunächst die Frage, ob das bloße Sitzen und die damit kausal verbundene Verkehrsbeeinträchtigung unter den Begriff der „Gewalt“ zu subsumieren ist. Der Prüfling tut sich gut daran, zunächst auf die historische Entwicklung des Gewaltbegriffs einzugehen: Der einst vertretene „vergeistigte“ Gewaltbegriff, welcher rein psychisch wirkenden Zwang ausreichen ließ, wurde vom BVerfG unter Hinweis einer Verletzung des strafrechtlichen Verbots ausdehnender Auslegung (Art. 103 Abs. 2 GG) verworfen.[19] Keine Verletzung des Grundgesetzes sah das BVerfG hingegen, wenn die Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der Gewalt auf Blockadeaktionen anwenden, bei denen die Teilnehmer über die durch ihre körperliche Anwesenheit verursachte psychische Einwirkung hinaus eine physische Barriere errichten (z.B. Pkw als Straßenblockade).[20]

Auf dieser Grundlage entwickelte sich die sog. „Zweite Reihe“-Rechtsprechung des BGH[21]: Gegenüber den ersten anhaltenden Kfz-Führern läge Gewalt nicht vor, weil die Blockierer nur passiv dasitzen und nicht aktiv auf die Fahrzeuge einwirken. Dagegen sei es Gewalt, was den hinter der ersten Reihe anhaltenden Personen geschehe: Diese würden physisch an der Weiterfahrt gehindert („Zweite Reihe“). Die erste Reihe der anhaltenden Fahrer seien folglich Tatmittler der Aktivisten („Werkzeug“), eine Zurechnung des physischen Zwangs erfolgt gem. § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB. Dass auch die vermeintlichen Tatmittler ihrerseits nur passiv stehenbleiben und das Sitzen der Blockierenden nach hinten weiterreichen wird dabei ein wenig ergebnisorientiert verwaschen: Die psychische Zwangssituation der Opfer, auf das vorne stehende Fahrzeug nicht auffahren zu sollen, wäre dabei maßgeblich (psychologisierenden Ansatz). Warum das nicht auch für die erste Reihe gilt, die bei einer Weiterfahrt immerhin sogar einen Menschen verletzen würde, wird kritisch gesehen.[22]

Folgt man der h.M. und bejaht eine „Gewalt“, so ist sie nur dann rechtswidrig, wenn ihre Ausübung zu dem angestrebten Zweck verwerflich ist. Die h.L. stuft diese Verwerflichkeitsprüfung dabei als tatbestandsregulierendes Korrektiv ein .[23] Die Klausel ist also bereits als Tatbestandteil anzusehen, mit der Folge, dass Freiheitsbeeinträchtigungen, die außerhalb der „Verwerflichkeitszone“ des Abs. 2 liegen, schon tatbestandlich keine Nötigung sind. Umgekehrt ist mit der Einordnung einer Tat als „nicht verwerflich“ noch kein Urteil über ihre Rechtmäßigkeit gefällt; § 240 Abs. 2 grenzt nicht zwingend Recht von Unrecht, sondern die Straftat von nichtstrafwürdigen Gesetzesverstößen ab.[24]

Im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung kommt es nun maßgeblich auf den konkreten Sachverhalt und eine Abwägung der Zwecke des Täters mit seinem Eingriff in die Belange der genötigten Person(en) an.[25] Im Falle der Verkehrsbeeinträchtigungen steht auf der einen Seite der Zeitverlust der gestoppten Fahrer, wenn diese die Aktion nicht teilen. Die Ziele auf der anderen Seite reichen von der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit auf die Klimakrise bis hin zur Erreichung bestimmter Klimaschutzmaßnahmen. Im Hinblick auf die öffentliche Aufmerksamkeit hat das BVerfG angemahnt, dass die Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit (Art. 8 und 5 GG, Demonstrationsgrundrecht) in die Abwägung einbezogen werden müssen und dabei die Umstände der Aktion (Dauer, Intensität, Ausweichmöglichkeiten etc.) zu prüfen sind.[26] Daneben fordert das Gericht einen „Sachbezug“, z.B. das Ziel, Emissionen zu reduzieren. Dabei gilt zu beachten, dass, obgleich das Demonstrationsgrundrecht den Aktivisten verfassungsrechtlich den Rücken stärkt, im Rahmen der praktischen Konkordanz das BVerfG stets einen gerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte bemüht.[27] Ob Fernziele, also solche die vielen und teils effektiveren Maßnahmen zum Klimaschutz gegenüberstehen, ist hoch umstritten.[28] Überwiegend stößt dies mit der Begründung auf Ablehnung, die Strafbarkeit nicht von den Moralvorstellungen des Richters abhängig zu machen. Eine andere Ansicht ist aber bestens vertretbar.

 

  1. § 113 Abs. 1 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte:

Eine Strafbarkeit könnte im Einzelfall auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1 StGB in Betracht kommen. Dessen Anwendungsbereich kann grds. bejaht werden, wenn die Polizei die festgeklebten Aktivisten von der Straße geleiten möchte, diese sich jedoch weigern. Das Festgeklebtsein für sich stellt noch keinen Widerstand dar, da bereits vor Eintreffen der Polizei initiiert.

Der Gewaltbegriff im Rahmen des § 113 StGB wird im Vergleich zu § 240 Abs. 1 StGB eng ausgelegt. Erforderlich ist eine körperliche Kraftentfaltung gegen die Person des Vollstreckenden, welche für diese Person körperlich spürbar sein muss.[29] Hieran wird es ebenfalls regelmäßig fehlen, wenn sich die Aktivisten einfach von der Straße lösen (lassen) und friedlich wegtragen lassen.

 

III. § 303 StGB – Sachbeschädigung:

Klassisch bedient sich der moderne Klimarächer zur Verfolgung seiner edlen Zwecke einer Sachbeschädigung. Frei nach dem Motto also „Auge um Auge, Schaden um Schaden“. Ob das Randalieren in Museen, das Kuchenschmeißen im Wachsfigurenkabinett, das Festkleben auf Straßen & Rollfeldern (und die damit einhergehenden Substanzbeeinträchtigungen) oder großflächige Graffitis tatbestandsmäßig sind, ist nach bewährter juristischer Methode zu erörtern.

  • 303 Abs. 1 StGB behandelt die Beschädigung oder Zerstörung von fremden Sachen. Eine Beschädigung wird angenommen, wenn die Substanz oder die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird. Eine Zerstörung hingegen dann, wenn die Sache vernichtet oder völlig gebrauchsuntauglich ist. Wenn Gemälde mit Lebensmittel beworfen werden, Sticker oder Graffitis aufgetragen werden oder sich an diesen festgeklebt wird, ist i.d.R. die Bejahung des Tatbestands ein Fall für den Feststellungsstil. Wichtig im Rahmen der Subsumtion ist, welche (Art von) Lebensmittel verwendet werden und ob sich das Kunstwerk hinter Schutzscheiben befindet: So kann im Einzelfall nur der Rahmen des Bildes Schaden nehmen. Hinsichtlich des Glases dürfte regelmäßig die Tatbestandsmäßigkeit an der Erheblichkeitsschwelle („nicht nur unerheblich“) scheitern.[30] Der Grad der Beeinträchtigung ist dabei davon abhängig, wie unproblematisch sich die Überreste der Aktion entfernen lassen und ob Veränderungen nachhaltig (bis hin zur völligen Gebrauchsuntauglichkeit, die bei einem malerischen Kunstwerk wohl diskutabel ist) sind.

Achtsamkeit ist in der gutachterlichen Prüfung zu wahren, wenn es um die genaue Zitation geht. Bei genauerem Hinsehen erscheint es fragwürdig, allzu vorschnell einen Fall der nicht nur unerheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung des Erscheinungsbildes einer für den Täter fremden Sache anzunehmen (Abs. 2), selbst bei Wortlautauslegung. Denn bei erheblichen Substanzverletzungen der besprühten Wände und beklebten Straßen nach der Entfernung der großflächig aufgetragenen Farbe oder Klebers mittels Hochdruckreinigung o. ä. greift bereits § 303 Abs. 1 StGB, sodass es eines Rückgriffs („ebenso wird bestraft“) auf den erst im Jahr 2005 eigefügten, materiell subsidiären § 303 Abs. 2 StGB nicht bedürfte. Der Strafrahmen ist zwar ergebnisgleich, doch gilt gerade im Gutachten das Primat der Präzision. Zudem kann im Fall einer Beschädigung oder Zerstörung eines Gemäldes, welches in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt wird oder öffentlich aufgestellt ist, auch § 304 Abs. 1 StGB, die gemeinschädliche Sachbeschädigung, einschlägig sein. Wie üblich ist zudem speziell bei der Sachbeschädigung sensibel auf Konkurrenzen zu achten. Regelmäßig gehen ihr weitere Straftaten voraus, oder sie steht gar in Tateinheit (§ 52 StGB)

Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit wird von den Klimaaktivisten sodann häufig ein vermeintliches Notstandsrecht angeführt sowie dem Rechtsbruch ein (vermeintliches) Demonstrationsgrundrecht[31] entgegengehalten. Hier gilt es nun sachgerecht zu argumentieren, wobei ein Notstandsrecht gem. § 34 StGB zugunsten des Klimas im Ergebnis wohl nach aktueller Rechtslage abzulehnen ist: Symboltaten ohne unmittelbaren (messbaren) Einfluss auf den Klimawandel, welchen erforderliche und legale Handlungsalternativen zur Wahrnehmung der Grundrechte und zur Einwirkung auf den Meinungsbildungsprozess gegenüberstehen, bietet die Rechtsordnung keinen fruchtbaren Boden. Die Gefahr sich in einem Zirkelschluss zu verlieren, welcher nicht zuletzt auch Anarchie in Form zivilen Ungehorsams rechtfertigen würde, ist schlicht zu gewichtig. Das Widerstandsrecht aus Art. 20 Abs. 4 GG steht den Demonstranten mangels Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ebenso wenig zu.

 

  1. § 123 – Hausfriedensbruch: Tier- und Umweltschutz als notstandsfähiges Rechtsgut

Mehr als 150 Ermittlungsverfahren wurden nach dem Streit zwischen dem Energieriesen RWE AG und den demonstrierenden Klimaaktivisten auf dem RWE-Gelände von Lützerath eingeleitet.[32] Was droht den Beschuldigten nun? Diese müssen mit zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen und teilweise strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Eine weitere bekannte Fallgruppe potentiell sträflichen Umweltengagements liegt im Hausfriedensbruch in Ställen zwecks Beschaffung von belastendem Videomaterial. Zuletzt wird der Hausrechtsinhaber eines Museums regelmäßig jenen Aktivisten gegenüber wenig einladend gestimmt sein, die zuvor die Kunstwerke, die in seiner Verantwortung stehen, angegriffen haben – hier könnte also das Tatbestandsmerkmal des befugnislosen Verweilens angesprochen werden.

Das absolute Antragsdelikt[33] des § 123 StGB schützt das Hausrecht und damit – passend in die Systematik des StGB – die Entscheidungsfreiheit des Hausrechtsinhabers, wer sich innerhalb einer geschützten Räumlichkeit und des befriedeten Besitztums aufhalten darf. Ist ein Strafantrag nach Abs. 2 nicht gestellt, spart man sich die Prüfung. Der § 123 StGB verkörpert ein Dauerdelikt, das mit dem Eindringen oder Sich-nicht-Entfernen vollendet, aber erst mit dem Verlassen beendet ist. Anlässlich der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit (I.) muss gem. dem objektiven Tatbestand (1.) zunächst ein taugliches Tatobjekt (a.) in Rede stehen, regelmäßig:

Eine Wohnung umfasst dabei die Räume, die einer oder mehreren Personen zum Aufenthalt dienen bzw. zur Benutzung zur Verfügung stehen (auch Zelte, Wohnwagen, Hotelzimmer & Schiffe; keine Pkw). Bei Geschäftsräumen handelt es sich um solche Räumlichkeiten, die bestimmungsgemäß für künstlerische, wissenschaftliche oder ähnliche Zwecke verwendet werden. Ein befriedetes Besitztum ist demgegenüber ein Grundstücksabschnitt, der mithilfe von Schutzwehren vor einem eigenmächtigen Betreten bewahrt werden soll.

Eine taugliche Tathandlung (b.) liegt im Eindringen in eines oder im befugnislosen Verweilen in einem der bezeichneten Tatobjekte. Eindringen bezeichnet dabei das Betreten gegen den Willen des Berechtigten. Dabei muss der Täter seinen Körper oder einen Teil seines Körpers in das Objekt verbringen. Es genügt nicht, durch ein Fenster hineinzugreifen.

Im Museumsfall sollte hier die grundsätzliche Zutrittserlaubnis angesprochen werden, welche bei einem dem Publikumsverkehr offenstehenden Gebäude wie einem Museum meist vorliegt. Dass das Museum nur betreten wird, um eine ggf. strafbare Handlung zu begehen, genügt für sich noch nicht zur Versagung der generellen Zutrittserlaubnis. Ein Eindringen wird nämlich dann verneint, wenn das Verhalten nach dem äußeren Erscheinungsbild von einem normalen, gestatteten Betreten nicht abweicht.

Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit gilt es zweierlei zu merken: Tierschutz ist „ein anderes Rechtsgut“ im Sinne des § 34 StGB[34], wenn auch die Notstandsfähigkeit von Allgemeininteressen zunächst nur mit Einschränkungen anerkannt wird (insb. fordert die Lit. eine Rückführbarkeit auf Individualinteressen).[35] Hinsichtlich der Lesart des § 34 StGB werden insb. zwei Ansätze vertreten: Einerseits könnte man unmittelbar das Interesse des jeweiligen Tieres als rechtlich geschützt betrachten[36], andererseits das Mitleid des Menschen mit dem gefährdeten Tier[37].

Im Gegensatz zu rechtfertigendem Notstand belegen die Sachgründe regelmäßig keine Rechtfertigung wegen Nothilfe nach § 32 StGB. Diese bezeichnet die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von einem anderen abzuwenden (§ 32 Abs. 2 StGB). Zwar ist auch ein Mastschwein bei verfassungskonformer Auslegung (Art. 20a GG, konkretisiert im TierSchG) ein nothilfefähiger „anderer“ iSd § 32 Abs. 1 StGB (dagegen spricht der traditionell anthropozentrische Ausgangspunkt der Rechtsgutslehre).

Fakt ist, dass für die Annahme eines Notstands (rechtswidrige -> TierSchG) Missstände vorliegen müssen, dafür auch Anhaltspunkte vorlagen und eine Dokumentation der Missstände und deren Weiterleitung an die zuständigen Stellen die unangekündigte Kontrolle des Betriebs und somit mittelbar eine Besserstellung der Tiere erreicht werden kann.

 

  1. §§ 315b f. StGB – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr:

Ausgehend vom Titel der Norm läge es nahe, dass Klimaaktivisten, die sich von Autobahnbrücken abseilen oder auf befahrenen Straßen Sitz- und Klebestreiks vollziehen, sich gem. § 315b strafbar machen. Beides sind verkehrsfremde Eingriffe. Das Delikt eignet sich hervorragend zur Prüfung von Examenskandidaten, fordert es doch die Kenntnis einiger Definitionen, die Beherrschung von AT-Klassikern wie der Versuchs- und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (Abs. 5) sowie jene der zahlreichen Eigenheiten eines Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationsdelikts (Abs. 4). Regelmäßig scheitert eine Strafbarkeit jedoch an einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert.

Der Tatbestand (I.) des § 315b setzt sich aus objektiven (1.) und subjektiven (2.) Merkmalen zusammen. Zunächst müsste ein verkehrsfremder Eingriff (a.) vorliegen, also ein solcher von außen in den öffentlichen Straßenverkehr gerichtet. An die Qualität eines solchen Eingriffs werden gewisse Anforderungen gestellt, die dem Gesetzgeber zufolge eine Strafbarkeit rechtfertigen können:

(1) Nr. 1: Anlagen oder Fahrzeuge werden zerstört, beschädigt oder beseitigt. Dabei sind Anlagen dem Straßenverkehr dienende, feste und auf Dauer angelegte Einrichtungen, einschließlich ihres Zubehörs. Fahrzeuge sind sämtliche im öffentlichen Straßenverkehr vorkommende Fortbewegungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern ohne Rücksicht auf die Antriebsart. Beseitigen meint ferner die Verhinderung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs durch örtliche Veränderung.

(2) Nr. 2: Das Bereiten von Hindernissen

Diese Fallgruppe bezeichnet körperliche Einwirkungen, die den regelmäßigen Verkehr hemmen oder verzögern, wobei es auf den Erfolg und nicht auf die Handlung des “Bereitens” ankommt. Das Festkleben an Straßen und Abhängen von Brücken ist hierzu wenigsten geeignet.

(3) Nr. 3: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff

Die Auffangklausel umschreibt Verhaltensweisen, die von außen unmittelbar auf Verkehrsvorgänge einwirken und den Eingriffen nach Nr. 1 und Nr. 2 nach verwandt und ebenso abstrakt gefährlich sind.

Probleme ergeben sich im objektiven Tatbestand insbesondere beim verkehrsfremden Eingriff von innen durch die Pervertierung des eigenen Fahrzeugs: Ein solcher wird nur dann bejaht, wenn das Fahrzeug bewusst zweckwidrig „Waffe“ und zumindest mit bedingtem Schädigungsvorsatz eingesetzt wurde. Ferner problematisch ist die Subsumtion auch bei äußerlich verkehrsgerechtem Verhalten: Hier wird ein verkehrsfremder Eingriff bejaht, wenn die Absicht vorliegt, die Unaufmerksamkeit oder Fehleinschätzung anderer Verkehrsteilnehmer zur Herbeiführung eines Unfalls auszunutzen; bei der bloßen Hoffnung, das Verhalten werde zu einem Unfall und möglicher Schadensliquidation führen, wird ein Eingriff verneint.

Durch den Eingriff müsste es zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gekommen sein (b.). Dabei meint „öffentlicher Straßenverkehrder der Fortbewegung dienende Verkehr von Fahrzeugen und Fußgängern auf allen Wegen, Plätzen, Durchgängen und Brücken, die jedermann oder wenigstens allgemein bestimmten Gruppen von Benutzern (z.B. Autobahn, Anlieger, Parkplätze), wenn auch nur vorübergehend oder gegen eine Gebühr zur Verfügung stehen. Eine Beeinträchtigung der Sicherheit meint die verkehrsspezifische abstrakte Gefahr der Verletzung eines der geschützten Rechtsgüter als Folge der Handlung.

Die angesprochene konkrete Gefahr (c.) wird in einem dritten Prüfungsschritt geprüft – regelmäßig scheitert hier die Strafbarkeit. Konkrete Gefahr bezeichnet die auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses, sodass das Ausbleiben der Rechtsgutsverletzung sich nur als Zufall darstellt (objektive ex-post-Prognose). Der BGH fordert, dass sich die Situation zu einer „kritischen Verkehrssituation“ oder einem in seinem Ausgang nur noch dem Zufall überlassenen „Beinahe-Unfall“ zugespitzt haben muss.[38] Die Wertschwelle gilt ab einem Wert i.H.v. 1.300,00 €.

Die bloße Gefährdung von Tatbeteiligten reicht nicht aus, wohingegen die Gefährdung von unbeteiligten Mitfahrern eine konkrete Gefahr begründet. Eine konkrete Gefährdung des nicht im Eigentum des Täters stehenden Pkw, welchem er sich zur Tat bedient, wird verneint.

Kausalität (d.) und objektive Zurechnung (e.) prüfen sich wie gehabt. Im subjektiven Tatbestand (2.) wird Vorsatz verlangt. Zu beachten sind hier Abs. 4 (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombi) und Abs. 5 (Fahrlässigkeit). Es bedarf zwingend eines Gefährdungsvorsatzes hinsichtlich der konkreten Rechtsgutsgefährdung. Bei Eingriffen innerhalb des fließenden Verkehrs ist zudem Schädigungsvorsatz erforderlich. Nach Prüfung der Rechtswidrigkeit (II.) und Schuld (III.) folgt die Prüfung der Qualifikation (IV.) § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB: Wenn der Täter in der Absicht handelt (1.) einen Unglücksfall herbeizuführen (a.), wobei ein Unglücksfall den plötzlichen Eintritt des durch die Gefahr drohenden Schadens bezeichnet (dem Täter muss es auf die Herbeiführung des Schadens und nicht allein auf die Gefährdung ankommen), oder eine andere Straftat (keine Ordnungswidrigkeiten; nicht notwendigerweise eine eigene Straftat) zu ermöglichen oder zu verdecken (b.) und es in der Folge (2.) zu einer schwere Gesundheitsschädigung[39] eines anderen Menschen oder zu einer einfachen Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen (Einzelfallbetrachtung; +/- 20) kommt.

Mit Blick auf die Fälle von Rettungskräften im Stau und einer durch die Verspätung resultierenden Möglichkeit der Schmerzintensivierung oder des Todes eines Dritten könnte eine Gefährdung für Leib oder Leben vorliegen; der bloße Stau hingegen begründet i.d.R. noch keine konkrete Gefahr. Im ersten Fall kann das Unmittelbarkeitserfordernis zwischen Tathandlung und Gefährdung („und dadurch“) aufgegriffen werden sowie das allgemeine Lebensrisiko von Staus und deren Folgen in komplexen Verkehrsnetzen (Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs). In der Prüfung ist im Rahmen der Feststellung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs an den Streit um die Risikoerhöhungslehre zu denken: Die Vertreter lassen bereits die bloße Chance der Rettung genügen, die eine Risikoverringerung des Erfolgseintritts zur Folge hat, um eine Quasikausalität zu bejahen.[40] Diese Minderung der Gefahr bedeutet jedoch nicht, dass der Erfolg nicht doch evtl. anderweitig eintritt. Da es hier auf eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht ankommt (und somit das Unterlassungsdelikt zum Gefährdungsdelikt mit objektiver Strafbarkeitsbedingung wird), wird die hypothetische Kausalität stark überdehnt bzw. sogar umgangen, da dem Unterlassenden ggf. der Erfolg zugerechnet wird, den er gar nicht hätte verhindern können. Dies ist insbesondere mit dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht vereinbar.

Auch der Schutzzweckzusammenhang kann Anlass zur Diskussion bieten: Dient das Gebot, keine künstlichen Staus zu verursachen, gerade dazu, dass Rettungskräfte schneller an ihr Ziel kommen? Die Prüfungsschemata, die wir hier anwenden, kennt Ihr seit dem ersten Semester. Es gilt einzig mit Ruhe und Bedacht die gutachterliche Prüfung gedanklich ‚abzuspulen‘ und an der richtigen Stelle – zumeist in der objektiven Zurechnung – argumentativ anzusetzen.

 

  1. § 115 Abs. 3 1 StGB – Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen:

Bleibt der Rettungsdienst / die Feuerwehr in einem durch die Proteste verursachten Stau stecken, kommt eine Strafbarkeit gem. § 115 Abs. 3 1 StGB in Betracht. Bestraft wird, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Ein „Behindern“, also dass die Hilfeleistung in ihrer Wirkung abgeschwächt bzw. mindestens erschwert wurden, könnte im Zuspätkommen des RTW an einem Unfallort bejaht werden, müsste aber entsprechend bewiesen werden. Inwieweit eine billigende Inkaufnahme oder das Hoffen auf einen guten Ausgang bzgl. solcher Behinderungen vorlag, ist im subjektiven Tatbestand zu diskutieren.

 

  1. § 323c II StGB – Behinderung von hilfeleistenden Personen:

Zuletzt käme eine Strafbarkeit gem. § 323c Abs. 2 StGB in Betracht. Liegt eine Notsituation vor, in welcher die Rettungskräfte einem Dritten Hilfe leisten wollen und dies aufgrund der Staubildung nicht können, kann der objektive Tatbestand erfüllt sein; es stellen sich erneut die Kausalitäts- & Vorsatzfrage.

Die vorangegangene Diskussion zeigt, dass das Spannungsverhältnis zwischen Klimaaktivismus aus guter Gesinnung, doch gegen das Gesetz und positivem Strafrecht ohne Moralwaagschale ein Thema am Zahn der Zeit ist. Die endgültige rechtliche Bewertung sowie insb. die hinreichenden Bedingungen für eine Annahme von gerechtfertigtem Handeln sind nicht abschließend geklärt. Dem Richter werden durch das Gesetz gewisse Spielräume geboten, um jene Straftäter, die in jugendlichem Sturm und Drang und Tateifer einen Schritt zu weit gegangen sind gegenüber jenen zu bevorzugen, die ein „Mehr“ an Unrecht verwirklichten, indem sie blind und rücksichtslos eigene Ziele verfolgten. [41]

[1] Siehe Wenglarczyk, Feindbild Klimaaktivimus, https://verfassungsblog.de/feindbild-klimaaktivismus (letzter Zugriff am 26.02.2023).

[2] Fyi: Der Bossesgrat ist Teil der Normalroute des Aufstiegs auf den Gipfel des Mont Blanc, höchster Gipfel der Alpen und West-Europas.

[3] Vertiefend Rönnau, JuS 2023, S. 112.

[4] AG Lüneburg, Urt. v.12.04.2022 – 15 Ds 186/21, BeckRS 2022, 21534 Rn. 12.

[5] AG Lüneburg, Urt. v.12.04.2022 – 15 Ds 186/21, BeckRS 2022, 21534 Rn. 20.

[6] Fyi: Die deutsche Gerichtsbarkeit unterscheidet Urteile, Beschlüsse und Verfügungen.

Beschlüsse werden regelmäßig dann erlassen, wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allein nach Lage der Akten ergehen kann (oder nach freigestellter mündlicher Verhandlung). Sie können jedoch ebenso sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Hauptverhandlung ergehen. Dies bedeutet übrigens nicht, dass kein rechtliches Gehör erfolgt (vgl. z.B. § 33 Abs. 1 StPO). Gegen den Beschluss richtet sich das Rechtsmittel der Beschwerde, vgl. §§ 304-311a StPO. Im Strafprozess entscheidet das Beschwerdegericht durch einen gesonderten Beschluss über den Ausgang des eingelegten Rechtsmittels. Weitere Bsp. sind: §§ 199 I, 207 I (Eröffnungsbeschluss); 26a, 27 (Befangenheit); 228 Abs. 1, 242 (ad Beweisanträge); 244 Abs. 6, 105 (Durchsuchung); 100, 111e StPO (Beschlagnahme).

[7] – Ein Urteil (Sach- & Prozessurteil) meint die Instanz erledigende Entscheidung durch das betraute Gericht. Hiergegen richten sich Berufung & Revision (vgl. hierzu unsere Juni 2022-Entscheidung Fn. 7).

– Mit der Verfügung werden vom Richter unter anderem Anordnungen zur Prozess- oder Verfahrensleitung getroffen. Eine trennscharfe Abgrenzung zum Beschluss ist kaum möglich; eine Beschwerde als Rechtsmittel ist auch hier einschlägig (Bsp.: §§ 213, 214 Abs. 1, 141, 143, 238 Abs. 1 StPO).

[8] OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494.

[9] OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494 Rn. 6. Kritisch dazu Bönte, NStZ 2023, S. 114; Jahn, JuS 2023, S. 82 (83 f.).

[10] OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494 Rn. 7. Zustimmend Jahn, JuS 2023, S. 82 (84).

[11] Fyi: Ziviler Ungehorsam verfolgt eine lange Tradition: Von den Mythen des Prometheus und Tantalos, über Mahatma Gandhi in Indien & Afrika im 19. Jahrhundert, den Akteuren gegen das NS-Regime (z.B. Hannah Arendt, Staufenberg, „Weiße Rose“) hin zu Rosa Parks und MLK in Kalifornien in den 50er Jahren und Alexei Nawalny im modernen Zeitalter.

[12] Berühmteste Schrift ist jene von Henry David Thoreau (1817-1862): “Civil Disobedience”.

[13] BVerfG, Urt. v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 u.a., BVerfGE 73, 206 Rn 91.

[14] OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494 Rn. 9.

[15] Zum Ganzen OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494 Rn. 11. Kritisch Bönte, NStZ 2023, S. 114 (115).

[16] OLG Celle, Beschl. v. 29.07.2022 – 2 Ss 91/22, BeckRS 2022, 21494 Rn. 12.

[17] Vgl. etwa aus der Rechtsprechung AG Freiburg, Urt. v. 22.11.2022 – 28 Cs 450 Js 23773/22, BeckRS 2022, 38216; Urt. v. 21.11.2022 – 24 Cs 450 Js 18098/22, BeckRS 2022, 38214; AG Flensburg, Urt. v. 07.11.2022 – 440 Cs 107 Js 7252/22, BeckRS 2022, 34906; AG Mönchengladbach-Rheydt, Urt. v. 14.3.2022 – 21 Cs – 721 Js 44/22 – 69/22, BeckRS 2022, 4182. Vgl. aus der Literatur Behme, NJW 2023, S. 327; Herber, NZV 2023, S. 49; Preuß, NZV 2023, S. 60; Rönnau, JuS 2023, S. 112; Frisch, GA 2015, S. 427. Ferner Wolf, Klimaschutz als rechtfertigender Notstand, https://verfassungsblog.de/klimaschutz-als-rechtfertigender-notstand/ (letzter Zugriff am 27.02.2023).

[18] BVerfG, Beschl. v. 10.01.1995 – 1 BvR 718/89 u.a., BVerfGE 92, 1.

[19] BVerfG, Beschl. v. 10.01.1995 – 1 BvR 718/89 u.a., BVerfGE 92, 1.

[20] BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a., BVerfGE 104, 92.

[21] Dazu und zum Folgenden BGH, Urteil vom 20. Juli 1995; Az. 1 StR 126/95.

[22] Vgl. Winter, Die strafrechtliche Undeterminiertheit von Aktionen des ‚Aufstands der Letzten Generation‘ und wie damit umzugehen ist, https://verfassungsblog.de/die-strafrechtliche-undeterminiertheit-von-aktionen-des-aufstands-der-letzten-generation/ (letzter Zugriff am 26.02.2023).

[23] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 240 Rn. 16.

[24] Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 240 Rn. 16.

[25] BGH, Beschl. v. 24.04.1986 – 2 StR 565/85, NJW 1986, S. 1883 (1884).

[26] BVerfG, Beschl. v. 07.03. 2011 – 1 BvR 388/05 Rn. 38. Beispielhaft AG Berlin-Tiergarten, Beschl. v. 05.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22), BeckRS 2022, 31817.

[27] Näher dazu BVerfG, Beschl. v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05, NJW 2011, 3020.

[28] Toepel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Auflage 2017, § 240 Rn. 154 ff.

[29] BGH, Urt. v. 16.11.1962 – 4 StR 337/62, NJW 1963, 769.

[30] Vgl. auch BGH, Urt. v. 13.11.1979 – 5 StR 166/79, NJW 1980, 350 (Plakat auf Verteilerkasten).

[31] Fyi: Die Tendenz des BVerfG bewegt sich dahin, seine mehr als liberale Rspr. zur freien Wahl des Versammlungsortes vorsichtig zurückzufahren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.12.2020 – 1 BvR 2719/20 zu einer Abseilaktion von einer Fußgängerbrücke über einer Autobahn: Im Rahmen der praktischen Konkordanz muss die Aktion hinter dem Sicherheitsbedürfnis der Kfz-Führer (Art. 2 Abs. 2 GG) zurückstehen).

[32] Vgl. https://rp-online.de/nrw/panorama/raeumung-luetzerath-polizei-hat-154-ermittlungsverfahren-eingeleitet_aid-83270295 (letzter Zugriff am 13.02.23).

[33] Fyi: Antragsdelikte sind Straftaten, die grds. nur dann verfolgt werden, wenn der Verletzte die Strafverfolgung per Strafantrag beantragt (Gegensatz: Offizialdelikt).

Relative Antragsdelikte können auch bei fehlendem Strafantrag verfolgt werden, jedoch nur bei besonderen öffentlichem Interesse. Beispiele: §§ 223, 229 StGB.

Absolute Antragsdelikte sind immer antragsbedürftig. Beispiele: §§ 123, 185 ff., 248 b StGB.

[34] Dazu: OLG Naumburg, Urt. v. 22.02.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064, Rn. 13.

[35] OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2018 – 2 Rv 157/17, NJW 2018, 2064.

[36] Kohler, Der Gerichtssaal (GS) 47 (1892), S. 32 (54).

[37] Neumond, GS 56 (1899), 47 (50 f.).

[38] BGH, Urt. v. 30.03.1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; Urt. v. 30.06.2015 – 4 StR 188/15, NZV 2016, 345.

[39] Fyi: Der Begriff reicht weiter als der der schweren Körperverletzung gem. § 226 und umfasst daneben insb. auch langwierige ernsthafte Erkrankungen sowie den Verlust oder eine erhebliche Einschränkung im Gebrauch der Sinne, des Körpers und der Arbeitsfähigkeit. Aufgrund der hohen Strafandrohung ist der Begriff eng auszulegen.

[40]  Gaede in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Wohlers, NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn.15.

[41]

Verfasser:             Christian Lederer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei HLB Schumacher Hallermann.

Supervision:        Dr. Lennart Brüggemann, Rechtsanwalt bei HLB Schumacher Hallermann.

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